Das Glück der Familie Rougon - 1
Schrecken, erwarteten sie im Bett die Katastrophe und bildeten sich zeitweise ein, ihr Haus wackele bereits.
Granoux läutete immer noch Sturm. Als wieder Stille in der Stadt herrschte, wurde das Lärmen dieser Glocke jammervoll.
Rougon, der vor Aufregung glühte, geriet außer sich bei diesem fernen Geschluchze. Er rannte zur Kathedrale, wo er die kleine Seitentür offen fand. Auf der Schwelle stand der Küster.
»Sie da – jetzt ist es aber genug!« rief Rougon dem Mann zu. »Man sollte meinen, es heult jemand, das geht einem ja auf die Nerven!«
»Aber dazu kann ich ja nichts, Herr Rougon«, antwortete der Küster ganz unglücklich. »Herr Granoux ist doch in den Turm gestiegen … Sie müssen wissen, daß ich auf Anordnung vom Herrn Pfarrer den Klöppel aus der Glocke genommen habe, gerade um zu verhindern, daß Sturm geläutet wird. Herr Granoux hat aber keine Vernunft annehmen wollen. Er ist trotzdem hinaufgeklettert. Weiß der Teufel, womit er diesen Lärm machen kann.«
Rougon stieg eiligst die Treppe empor, die zur Glockenstube führte, und rief:
»Genug! Genug! Um des Himmels willen, hören Sie doch auf!«
Oben angekommen, sah er in einem Streifen Mondlicht, das durch das Maßwerk eines Spitzbogens fiel, Granoux, der ohne Hut und mit grimmiger Miene mit einem schweren Hammer drauflosschlug. Und das mit aller Gründlichkeit! Er lehnte sich hintenüber, gab sich einen Schwung und fiel über die klingende Bronze her, als wolle er sie zerschmettern. Seine ganze wohlbeleibte Person legte er in den Schlag, und sobald er sich auf die große unbewegliche Glocke gestürzt hatte, warfen die Schwingungen ihn zurück, und mit neuer Wut hieb er wieder zu. Er sah aus wie ein Schmied, der heißes Eisen hämmert, aber ein Schmied im Überrock, untersetzt und kahlköpfig, mit ungeschickten, zornigen Bewegungen.
Einen Augenblick stand Rougon in seiner Überraschung wie festgenagelt vor diesem vom Teufel besessenen Spießbürger, der im Mondschein mit einer Glocke kämpfte. Jetzt begriff er das Kesselgedröhn, mit dem dieser merkwürdige Glöckner die Stadt überschüttete. Er rief ihm zu, er solle innehalten. Der andere hörte nicht. Er mußte ihn beim Rock packen, und Granoux rief, als er ihn erkannte, triumphierend: »Nicht wahr, das haben Sie gehört? Erst habe ich versucht, mit den Fäusten auf die Glocke zu schlagen. Das tat mir weh. Glücklicherweise habe ich diesen Hammer entdeckt … Noch ein paar Schläge, ja?«
Doch Rougon nahm ihn mit. Granoux strahlte. Er wischte sich die Stirn, und sein Gefährte mußte ihm versprechen, am anderen Morgen genau bekanntzugeben, daß er diesen ganzen Lärm mit einem einfachen Hammer vollführt habe. Welche Heldentat! Und welche Wichtigkeit würde ihm diese wilde Läuterei eintragen!
Gegen Morgen dachte Rougon daran, Félicité zu beruhigen. Die Nationalgardisten hatten sich auf seinen Befehl im Rathaus eingeschlossen. Unter dem Vorwand, sie sollten der Bevölkerung der Altstadt als warnendes Beispiel dienen, hatte Rougon verboten, die Toten wegzubringen. Und als er, um zur Rue de la Banne zu gelangen, über den Platz ging, der nun nicht mehr im Mondlicht lag, trat er einer der Leichen auf die Hand, die zusammengekrallt an einer Bordschwelle lag. Beinahe wäre er gefallen. Diese weiche Hand, die unter seinem Absatz zerquetscht wurde, verursachte ihm ein unbeschreibliches Gefühl von Ekel und Grauen. Er eilte mit großen Schritten durch die leeren Straßen, als spüre er in seinem Rücken eine blutige Hand, die ihn verfolgte.
»Vier sind auf dem Platz geblieben«, erzählte er beim Nachhausekommen.
Die beiden sahen einander an, als wären sie selber über ihr Verbrechen erstaunt. Das gelbe Lampenlicht gab ihrer Blässe einen wachsgelben Ton.
»Hast du sie dort liegenlassen?« fragte Félicité. »Man muß sie an Ort und Stelle finden.«
»Ich habe sie bei Gott nicht aufgehoben. Sie liegen da gut … Eben bin ich auf etwas Weiches getreten …« Er sah seinen Schuh an. Der Absatz war voller Blut.
Während er andere Schuhe anzog, meinte Félicité:
»Nun, um so besser! Jetzt ist es vorbei … Man wird nicht mehr erzählen, du jagtest deine Kugeln in den Spiegel.«
Die Schießerei, die von den Rougons ausgeheckt worden war, um endgültig als die Retter von Plassans zu gelten, legte ihnen die schreckerfüllte, dankbare Stadt zu Füßen. Trüb zog der Tag herauf, mit der grauen Traurigkeit winterlicher Vormittage. Als die Einwohner nichts mehr vernahmen und es satt
Weitere Kostenlose Bücher