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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der Präsident das Wort abschnitt. Er setzte sich sofort, mit einem eigentümlichen Lächeln. Sein Klient wurde zur Zahlung einer beträchtlichen Summe verurteilt, was Eugène offenbar nicht dazu veranlaßte, seine Abschweifungen auch nur im geringsten zu bedauern. Er schien seine Plädoyers einfach als Übungen aufzufassen, die ihm späterhin nützlich sein würden. Félicité begriff das nicht, sie war untröstlich darüber, sie hätte gewünscht, daß ihr Sohn dem Zivilgericht von Plassans die Gesetze vorschrieb. Schließlich bildete sie sich eine höchst ungünstige Meinung über ihren ältesten Sohn; nach ihrer Ansicht konnte dieser verschlafene Mensch niemals der Familie zum Ruhm gereichen. Pierre hingegen setzte unbegrenztes Vertrauen in Eugène, nicht, weil er etwa einen besseren Blick gehabt hätte als seine Frau, sondern weil er sich an das Äußere hielt und sich selber schmeichelte, wenn er an das Genie eines Sohnes glaubte, der sein lebendiges Ebenbild war. Einen Monat vor der Februarrevolution wurde Eugène unruhig; ein eigentümliches Witterungsvermögen ließ ihn die Krise vorausahnen. Von nun an brannte ihm das Pflaster von Plassans unter den Sohlen. Man sah ihn wie eine verlorene Seele auf den Spazierwegen umherstreifen. Dann faßte er einen plötzlichen Entschluß und reiste nach Paris. Er hatte keine fünfhundert Francs in der Tasche.
    Aristide, der jüngste der Rougonsöhne, war sozusagen mit mathematischer Genauigkeit das Gegenteil von Eugène. Er hatte das Gesicht der Mutter und eine Habsucht, einen hinterhältigen, zu gemeinen Ränken fähigen Charakter, in dem die väterliche Veranlagung vorherrschte. Die Natur hat oft ein Bedürfnis nach Symmetrie. Klein, mit einem winzigen, verschlagenen Gesicht, das an einen wunderlich als Kasperlekopf geschnitzten Stockknauf erinnerte, schnüffelte, wühlte Aristide, auf Genuß erpicht, überall ziemlich skrupellos herum. Er liebte das Geld, wie sein älterer Bruder die Macht liebte. Während Eugène davon träumte, ein ganzes Volk unter seinen Willen zu beugen, und sich an seiner künftigen Allmacht berauschte, sah sich Aristide als zehnfachen Millionär in einer fürstlichen Wohnung hausen, gut essen und trinken und mit allen Sinnen und allen Fasern seines Leibes das Leben genießen. Vor allem lag ihm daran, schnell reich zu werden. Wenn er Luftschlösser baute, erschien in seinem Geiste zauberhaft das eine Traumbild: er gelangte von heute auf morgen in den Besitz von Tonnen voller Gold; das behagte seiner Trägheit um so mehr, als er sich niemals Gedanken über die Mittel machte und ihm die am raschesten wirkenden immer die besten zu sein schienen. Das Geschlecht der Rougons, dieser schwerfälligen und habsüchtigen Bauern mit den rohen Begierden, war vorzeitig herangereift. Alle Bedürfnisse nach materiellem Genuß entwickelten sich, durch eine übereilte Erziehung verdreifacht, bei Aristide noch unersättlicher und gefährlicher, seit sie mit Überlegung verbunden waren. Trotz ihres feinen weiblichen Spürsinns zog Félicité diesen Jungen vor. Sie merkte nicht, wieviel verwandter ihr Eugène war; sie entschuldigte die Torheit und Trägheit ihres Jüngsten mit der Begründung, daß er eines Tages der große Mann der Familie sein werde und daß ein großer Mann bis zu dem Tag, an dem sich sein Genie offenbart, das Recht auf ein lockeres Leben habe. Aristide stellte ihre Nachsicht hart auf die Probe. In Paris führte er ein schmutziges Müßiggängerdasein; er war einer jener Studenten, die sich in den Kneipen des Quartier Latin23 immatrikulieren. Übrigens blieb er nur zwei Jahre dort; sein Vater, entsetzt darüber, daß er noch kein einziges Examen hinter sich gebracht hatte, hielt ihn in Plassans zurück und sprach davon, ihm eine Frau suchen zu wollen, denn er hoffte, daß die Verantwortung für eine Familie einen ordentlichen Menschen aus dem Sohn machen würde. Aristide ließ sich verheiraten. Zu dieser Zeit sah er noch nicht ganz klar, was er eigentlich anstrebte. Das Leben in der Provinz mißfiel ihm nicht; er kam sich in seiner kleinen Vaterstadt vor wie die Made im Speck mit Essen, Schlafen und Herumbummeln. Félicité vertrat seine Sache mit so viel Wärme, daß Pierre einwilligte, das Ehepaar zu ernähren und bei sich wohnen zu lassen, unter der Bedingung, daß sich der junge Mann ernstlich den Geschäften der Firma widmete. Nun begann für diesen ein herrliches Faulenzerdasein. Er verbrachte seine Tage und den größten Teil der Nächte im

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