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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mitgift fehlt, zu einer schrecklichen Last. Rougon erklärte jedem, der es hören wollte, daß es nun genug sei und daß der Teufel es sehr listig anstellen müsse, wenn er ihnen noch ein sechstes Kind bescheren wolle. In der Tat ließ Félicité es dabei bewenden. Es ist schwer zu sagen, bis zu welcher Zahl sie es noch gebracht hätte.
    Die junge Frau sah übrigens in dieser Kinderschar keineswegs einen Grund zum Untergang. Im Gegenteil: auf den Häuptern ihrer Söhne richtete sie das Gebäude ihres Glücks, das unter ihren eigenen Händen zusammenstürzte, wieder auf. Sie waren noch nicht zehn Jahre alt, als Félicité schon in ihren Träumen auf die glückliche Zukunft der Kinder spekulierte. Da sie daran zweifelte, jemals aus eigener Kraft ihr Ziel zu erreichen, begann sie zu hoffen, daß es ihren Söhnen gelingen werde, die hartnäckige Feindschaft des Schicksals zu überwinden. Sie würden ihre enttäuschte Eitelkeit befriedigen, würden ihr die reiche, beneidenswerte Stellung verschaffen, der sie vergeblich nachjagte. Ohne den mit Hilfe des Handels geführten Kampf aufzugeben, verfolgte sie von nun an einen zweiten Plan, um zur Befriedigung ihrer Herrschgelüste zu gelangen. Es schien ihr unmöglich, daß unter ihren drei Söhnen kein überlegener Geist sein solle, der sie alle zu reichen Leuten machen würde. Sie habe das im Gefühl, sagte sie. Darum sorgte sie für die kleinen Jungen mit einem Eifer, der die Strenge der Mutter und die Zärtlichkeit des Wucherers in sich beschloß. Sie gefiel sich darin, die Kinder sorgfältig zu pflegen wie ein Kapital, das später hohe Zinsen tragen sollte.
    »Laß doch!« schalt Pierre. »Alle Kinder sind undankbar. Du verwöhnst sie, du ruinierst uns!«
    Als Félicité davon sprach, die Söhne aufs Gymnasium zu schicken, wurde er böse. Latein sei ein unnötiger Luxus, es genüge, sie eine kleine Privatschule in der Nachbarschaft besuchen zu lassen. Doch die junge Frau ließ nicht locker; sie strebte höher hinauf und setzte großen Stolz darein, sich mit gebildeten Kindern zu schmücken, auch fühlte sie wohl, daß ihre Kinder nicht so unwissend bleiben dürften wie ihr Mann, wenn sie eines Tages bedeutende Menschen werden sollten. Sie sah sie schon alle drei in Paris in einflußreichen Stellungen, die sie nicht näher bezeichnete. Als Pierre nachgegeben hatte und die drei Buben endlich in der Anfangsklasse des Gymnasiums saßen, genoß Félicité die größte Befriedigung ihrer Eitelkeit, die sie je empfunden. Mit Entzücken lauschte sie, wenn sie sie untereinander von ihren Lehrern und dem, was sie lernten, sprechen hörte. Als eines Tages der Älteste einen der Jüngeren in ihrer Gegenwart lateinisch rosa – die Rose – deklinieren ließ, vermeinte sie, eine köstliche Musik zu vernehmen. Es muß zu ihrem Lohe gesagt werden, daß ihre Freude damals frei von jeder Berechnung war. Rougon seinerseits überließ sich der Genugtuung des Ungebildeten, der seine Kinder kenntnisreicher werden sieht, als er selber ist. Die Kameradschaft, die sich ganz selbstverständlich zwischen ihren Söhnen und denen der bedeutendsten Größen der Stadt entwickelte, berauschte die beiden Gatten vollends. Ihre Kleinen duzten den Sohn des Bürgermeisters, den des Unterpräfekten, ja sogar zwei oder drei junge Adlige, die das Saint MarcViertel geruht hatte, auf das Gymnasium von Plassans zu schicken. Félicité meinte, eine solche Ehre könne man nicht hoch genug bezahlen. Die Ausbildung der drei Buben war für den Geldbeutel der Familie Rougon eine furchtbare Belastung.
    Solange die Kinder das Abiturium noch nicht hinter sich hatten, lebten die Eheleute, die ihre Söhne unter schweren Opfern das Gymnasium besuchen ließen, in der Hoffnung auf ihren Erfolg. Und als sie ihre Reifezeugnisse besaßen, wollte Félicité ihr Werk vollenden; sie überredete ihren Mann dazu, alle drei nach Paris zu schicken. Zwei studierten die Rechte, der dritte Medizin. Dann, als sie erwachsene Männer waren, als sie das Haus Rougon völlig ausgesogen hatten und sich nun notgedrungen in der Provinz niederlassen mußten, begann für die armen Eltern die Enttäuschung. Die Provinz schien ihre Beute zurückzufordern. Die drei jungen Leute wurden träge und schwerfällig. Die ganze Bitterkeit über ihren Unstern stieg wieder in Félicité auf. Ihre Söhne trieben sie in den Bankrott. Sie hatten sie zugrunde gerichtet, sie trugen ihr nicht die Zinsen des Kapitals ein, das sie darstellten. Dieser letzte

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