Das Glück der Familie Rougon - 1
Klub, schwänzte wie ein Schüler das väterliche Büro und verspielte die wenigen Goldstücke, die ihm seine Mutter heimlich zusteckte. Man muß tief in der Provinz gelebt haben, um sich eine richtige Vorstellung von den vier Jahren der Verblödung zu machen, die dieser Bursche auf solche Weise hinbrachte. So gibt es in jeder Kleinstadt eine Gruppe von Menschen, die auf Kosten ihrer Eltern leben, manchmal so tun, als arbeiteten sie, in Wirklichkeit aber ihre Trägheit geradezu mit einer Art frommen Kult pflegen. Aristide war der Typus dieser unverbesserlichen Bummler, die sich wohlig in der Leere der Provinz herumtreiben. Vier Jahre lang spielte er Ecarté24. Während er im Klub lebte, trug seine Frau, eine lässige und sanfte Blondine, dadurch zum Ruin des Hauses Rougon bei, daß sie eine ausgesprochene Vorliebe für auffallende Toiletten hatte und einen unheimlichen Appetit, der bei einem so zerbrechlichen Geschöpf höchst merkwürdig war. Angèle schwärmte für himmelblaue Bänder und gebratenes Rinderfilet. Sie war die Tochter eines verabschiedeten Hauptmanns, Kommandant Sicardot genannt, eines braven Mannes, der ihr zehntausend Francs, seine ganzen Ersparnisse, mit in die Ehe gegeben hatte. Deshalb hatte Pierre geglaubt, als er Angèle für seinen Sohn aussuchte, ein unerwartet gutes Geschäft zu machen – so billig schätzte er Aristide ein. Diese Mitgift von zehntausend Francs, die bei ihm den Ausschlag gegeben hatte, sollte später ein Mühlstein an seinem Halse werden. Sein Sohn war bereits ein durchtriebener Gauner; er händigte dem Vater die zehntausend Francs ein, wurde sein Teilhaber, wollte keinen Sou für sich behalten und trug die tiefste Ergebenheit zur Schau.
»Wir brauchen nichts«, meinte er, »du unterhältst uns, meine Frau und mich, und später werden wir einmal abrechnen.«
Pierre war in Geldverlegenheit, er nahm an, wenn auch etwas beunruhigt durch Aristides Uneigennützigkeit. Dieser sagte sich, daß der Vater wahrscheinlich geraume Zeit nicht imstande sein werde, zehntausend Francs flüssig zu machen und ihm zurückzuerstatten; so würden er und seine Frau auf Kosten des Vaters sorgenfrei leben, solange die Geschäftsverbindung nicht gelöst werden konnte. Die paar Banknoten waren bestens angelegt. Als der Ölhändler begriff, wie sehr er bei diesem Handel zu kurz kam, stand es ihm nicht mehr frei, sich Aristide vom Halse zu schaffen; Angèles Mitgift war bei Spekulationen mitverwendet worden, die fehlschlugen. Erbittert, ins Herz getroffen durch den unersättlichen Appetit seiner Schwiegertochter und die Faulheit seines Sohnes, mußte er das Ehepaar bei sich behalten. Hätte er sie auszahlen können, so würde er dieses Ungeziefer, das ihm das Blut aussaugte, wie er sich drastisch ausdrückte, schon zwanzigmal vor die Tür gesetzt haben. Félicité unterstützte die jungen Leute heimlich. Aristide, der ihre ehrgeizigen Träume durchschaute, setzte ihr Abend für Abend wunderbare Pläne auseinander, auf Grund derer er in nächster Zeit ein Vermögen erwerben würde. Infolge eines seltenen Zufalls stand sie sich mit ihrer Schwiegertochter ganz ausgezeichnet; allerdings muß gesagt werden, daß Angèle keinen eigenen Willen besaß und daß man über sie verfügen konnte wie über ein Möbelstück. Pierre wurde wütend, wenn ihm seine Frau von den künftigen Erfolgen ihres Jüngsten sprach; er selber beschuldigte ihn vielmehr, eines Tages den Ruin des Hauses herbeizuführen. So wetterte er während der ganzen vier Jahre, die das Ehepaar unter seinem Dach zubrachte, und verpulverte seine ohnmächtige Wut in Zänkereien, ohne daß sich Aristide und Angèle auch nur im geringsten aus ihrer lächelnden Ruhe bringen ließen. Sie hatten sich hier niedergelassen, und hier blieben sie wie Klötze. Endlich machte Pierre ein gutes Geschäft, er konnte seinem Sohn die zehntausend Francs zurückgeben. Als er mit ihm abrechnen wollte, fand Aristide so viele Kniffe, daß ihn der Vater gehen lassen mußte, ohne ihm auch nur einen Sou für all seine Auslagen für Nahrung und Unterkunft abzuziehen. Das junge Paar mietete sich einige Schritte entfernt, an einem kleinen Platz der Altstadt, dem Place SaintLouis, eine Wohnung. Die zehntausend Francs waren bald aufgebraucht. Es mußte eine Einrichtung angeschafft werden. Außerdem änderte Aristide nichts an seiner Lebensweise, solange Geld im Hause war. Als er bei seinem letzten Hundertfrancsschein angelangt war, wurde er unruhig. Man sah ihn mit trüber
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