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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der kleinen Feier; sie begaben sich alle auf den Platz der Unterpräfektur, um zu sehen, wie ein Freiheitsbaum gefällt wird. Die Stammgäste des gelben Salons hatten sich an die Fenster gestellt. Als in der Dunkelheit die Pappel mit dumpfem Krachen stürzte, jäh wie ein zu Tode getroffener Held, glaubte Félicité, ein weißes Taschentuch schwenken zu sollen. Daraufhin erhob sich Beifall in der Menge, und die Zuschauer antworteten auf den Gruß, indem auch sie mit ihren Taschentüchern winkten. Eine Gruppe kam sogar unter das Fenster und rief: »Wir werden sie begraben, wir werden sie begraben!«
    Sie meinten zweifellos die Republik. Die Erregung hätte Félicité fast einen Nervenschock eingetragen. Es war ein schöner Abend für den gelben Salon.
    Indessen fuhr der Marquis fort, geheimnisvoll zu lächeln, wenn er Félicité ansah. Dieser kleine Greis war viel zu klug, um nicht zu begreifen, wohin Frankreich steuerte. Als einer der ersten witterte er das kommende Kaiserreich. Später, als sich die Gesetzgebende Versammlung in leeren Streitigkeiten aufrieb, als sich die Orléanisten und die Legitimisten stillschweigend mit dem Gedanken an einen Staatsstreich abfanden, sagte er sich, daß das Spiel zweifellos verloren sei. Er war übrigens der einzige, der klar sah. Vuillet merkte wohl, daß es um die Sache Heinrichs V., für die sich seine Zeitung einsetzte, sehr schlecht bestellt war, aber das machte ihm wenig aus; ihm genügte es, das gehorsame Werkzeug des Klerus zu sein. Seine ganze Politik zielte darauf ab, möglichst viele Rosenkränze und Heiligenbilder zu verkaufen. Was Roudier und Granoux anlangt, so lebten sie in angsterfüllter Verblendung; es war durchaus nicht sicher, ob sie überhaupt eine eigene Meinung besaßen, sie wollten in Frieden essen und schlafen – darauf beschränkte sich ihr politisches Trachten. Der Marquis erschien immer noch regelmäßig bei Rougon, obwohl er seinen Hoffnungen Lebewohl gesagt hatte. Er amüsierte sich dort. Das Aufeinanderprallen der verschiedenen Ambitionen, das Zurschaustellen bürgerlicher Torheiten boten ihm schließlich allabendlich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Ihn schauderte bei dem Gedanken, sich wieder in seiner kleinen Wohnung einzuschließen, die er der Barmherzigkeit des Grafen de Valqueyras verdankte. Es bereitete ihm ein boshaftes Vergnügen, seine Überzeugung, daß die Stunde für die Bourbonen nicht gekommen war, für sich zu behalten. Er tat, als sei er blind, und arbeitete wie bisher für den Sieg der Legitimisten, stets im Dienste des Klerus und des Adels. Vom ersten Tag an hatte er Pierres neue Taktik durchschaut, und er glaubte, Félicité sei dessen Mitverschworene.
    Eines Abends, als er als erster ankam, traf er die alte Frau allein im Salon.
    »Nun, Kleine«, fragte er mit der gewohnten lächelnden Vertraulichkeit, »geht eure Sache tüchtig voran? Warum, zum Teufel, spielst du die Geheimniskrämerin mir gegenüber?«
    »Ich weiß nichts von Geheimniskrämerei«, antwortete Félicité beunruhigt.
    »Sieh mal an! Sie glaubt, einen alten Fuchs wie mich täuschen zu können! Ach, mein liebes Kind, behandle mich doch als Freund. Ich bin durchaus bereit, euch heimlich zu helfen … Also, sei aufrichtig.«
    Félicité ging plötzlich ein Licht auf. Sie hatte nichts zu sagen, aber sie würde vielleicht alles erfahren, wenn sie jetzt zu schweigen verstand.
    »Du lächelst?« fuhr Herr de Carnavant fort. »Das ist der Anfang eines Geständnisses. Ich habe mir das schon gedacht, daß du hinter deinem Gatten steckst! Pierre ist viel zu schwerfällig, um den netten Verrat auszuhecken, den ihr vorbereitet … Wirklich, ich wünsche von ganzem Herzen, daß die Bonapartes euch das geben, was ich für dich von den Bourbonen erbeten hätte.«
    Diese einfachen Worte bestätigten den Verdacht, den die alte Frau seit einiger Zeit hegte.
    »Prinz Louis hat alle Aussichten, nicht wahr?« fragte sie lebhaft.
    »Wirst du mich verraten, wenn ich dir sage, daß ich es annehme?« erwiderte lachend der Marquis. »Ich habe mich damit abgefunden, Kleine. Ich bin ein alter Narr, erledigt und begraben. Wenn ich arbeitete, so geschah es für dich. Da du ja auch ohne mich den rechten Weg gefunden hast, werde ich mich damit trösten, daß du durch meine Niederlage gewinnst … Vor allem spiele nicht mehr mir gegenüber die Geheimnisvolle. Komm zu mir, wenn du Schwierigkeiten hast.« Und mit dem skeptischen Lächeln des Edelmanns, der sich mit dem Volk gemein gemacht hat,

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