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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie es ohne jede Überlegung zu tun schien. Wenn Pierre glaubte, alle Arbeit allein zu machen, so war es meist Félicité, die die Unterhaltung auf den erwünschten Gegenstand brachte und für den entscheidenden Augenblick neue Anhänger warb. Sie litt unter Eugènes Mißtrauen. Nach dem Sieg wollte sie ihm sagen können: »Ich wußte alles, und weit davon entfernt, etwas zu verderben, habe ich den Erfolg gesichert.« Niemals hat ein Mitwisser weniger Aufhebens von sich gemacht und mehr geleistet. Der Marquis, den sie zu ihrem Vertrauten erwählt hatte, war voller Bewunderung.
    Was sie dauernd beunruhigte, war das Schicksal ihres geliebten Aristide. Seit sie den Glauben ihres ältesten Sohnes teilte, jagten ihr die wutschnaubenden Artikel des »Indépendant« noch größeren Schrecken ein. Sie wünschte sehnlich, den unglückseligen Republikaner zu den napoleonischen Ideengängen zu bekehren, wußte aber nicht, wie sie das in kluger Weise bewerkstelligen sollte. Sie erinnerte sich, mit welchem Nachdruck ihnen Eugène geraten hatte, sich vor Aristide in acht zu nehmen. Sie unterbreitete den Fall Herrn de Carnavant, der derselben Ansicht war.
    »Liebe Kleine«, sagte er, »in der Politik muß man Egoist sein können. Wenn ihr euren Sohn eines Besseren belehrtet und der ›Indépendant‹ plötzlich anfinge, den Bonapartismus zu verteidigen, hieße das eurer Partei einen verhängnisvollen Schlag versetzen. Der ›Indépendant‹ ist bereits gerichtet; sein bloßer Name genügt, um die Bürger von Plassans in Wut zu versetzen. Laßt den lieben Aristide im Schlamm herumpatschen, so etwas formt die jungen Leute. Er scheint mir nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem man Märtyrer macht.«
    In ihrem wilden Drang, jetzt, da sie sich im Besitz der Wahrheit glaubte, den Ihrigen den richtigen Weg zu weisen, ging Félicité so weit, auch ihren Sohn Pascal belehren zu wollen. Mit der Selbstsucht des in seinen Forschungen vertieften Gelehrten behaftet, kümmerte sich der Arzt sehr wenig um Politik. Wenn er gerade mit einem Versuch beschäftigt war, hätten Kaiserreiche zusammenstürzen können, ohne daß er auch nur geruhte, den Kopf zu wenden. Immerhin gab er schließlich den Bitten seiner Mutter nach, die ihm mehr denn je vorwarf, daß er abgesondert wie eine Schnecke in ihrem Bau lebte.
    »Wenn du die vornehmen Kreise aufsuchtest«, sagte sie zu ihm, »würdest du auch Patienten aus der guten Gesellschaft bekommen. Verbringe wenigstens deine Abende in unserm Salon. Da lernst du die Herren Roudier, Granoux, Sicardot kennen, lauter gutgestellte Leute, die dir für jeden Besuch vier und auch fünf Francs zahlen würden. Die Armen machen dich nicht reich.«
    Der Gedanke, vorwärtszukommen, ihre ganze Familie zu Vermögen gelangen zu sehen, war bei Félicité zur fixen Idee geworden. Um seine Mutter nicht zu kränken, brachte Pascal ein paar Abende im gelben Salon zu. Er langweilte sich dort weniger, als er befürchtet hatte. Beim erstenmal war er betroffen über den Grad von Dummheit, auf den ein gesunder Mensch herabsinken kann. Die ehemaligen Öl und Mandelhändler, sogar der Marquis und der Kommandant kamen ihm wie merkwürdige Tiere vor, die zu beobachten er bis dahin noch keine Gelegenheit gehabt hatte. Mit dem Interesse eines Naturforschers betrachtete er ihre zu Grimassen erstarrten Gesichter, von denen er ihre Tätigkeit und ihre Begierden ablesen konnte; er hörte ihrem leeren Geschwätz genauso zu, wie er den Sinn eines Katzenmiauens oder eines Hundegebells zu erhaschen gesucht hätte. Zu jener Zeit beschäftigte er sich viel mit vergleichender Naturwissenschaft, wobei er die Beobachtungen, die er bei den Tieren zu machen vermochte, auf die Menschen übertrug. So kam es, daß er sich im gelben Salon an der Vorstellung ergötzte, in eine Menagerie geraten zu sein. Er stellte Ähnlichkeiten zwischen jedem dieser verschrobenen Leute und irgendeinem ihm bekannten Tier fest. Der Marquis mit seiner Magerkeit und seinem schmalen, pfiffig aussehenden Kopf erinnerte ihn ganz besonders an eine große, grüne Heuschrecke. Vuillet erschien ihm wie eine fahle, klebrige Kröte. Freundlicher ging er mit Roudier um, der für ihn ein fetter Hammel war, und mit dem Kommandanten, in dem er eine alte, zahnlose Dogge sah. Seine ständige Verwunderung aber galt dem erstaunlichen Granoux. Einen ganzen Abend verbrachte er damit, dessen Gesichtswinkel zu messen. Wenn er zuhörte, wie Granoux irgendein undeutliches Schimpfwort gegen die

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