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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Republikaner, »diese Blutsäufer«, stammelte, war er immer darauf gefaßt, ihn wie ein Kalb greinen zu hören, und er konnte ihn nicht vom Stuhl aufstehen sehen, ohne sich vorzustellen, daß er gleich auf allen vieren zum Salon hinaustrotten werde.
    »Beteilige dich doch am Gespräch«, flüsterte seine Mutter ihm zu, »versuche doch, diese Herren als Patienten zu bekommen!«
    »Ich bin kein Tierarzt«, antwortete er schließlich, am Ende seiner Geduld angelangt.
    Eines Abends zog ihn Félicité in eine Ecke und versuchte, ihm die Leviten zu lesen. Sie war glücklich darüber, ihn mit ziemlicher Regelmäßigkeit in ihr Haus kommen zu sehen. Sie glaubte ihn schon für die große Welt gewonnen, da sie sich keinen Augenblick das merkwürdige Vergnügen vorzustellen vermochte, das er genoß, wenn er reiche Leute lächerlich machte. Sie nährte den heimlichen Plan, den Modearzt von Plassans aus ihm zu machen. Es würde genügen, wenn Männer wie Granoux und Roudier bereit wären, ihn einzuführen. Vor allen Dingen wollte sie ihrem Sohn die politischen Ideen der Familie einflößen, da ihrer Ansicht nach ein Arzt nur gewinnen konnte, wenn er sich als warmer Parteigänger der Regierung ausgab, die der Republik folgen würde.
    »Mein Freund«, sagte sie zu ihm, »da du ja jetzt Vernunft angenommen hast, mußt du auch an die Zukunft denken … Man wirft dir republikanische Gesinnung vor, weil du töricht genug bist, alle Bettler der Stadt umsonst zu behandeln. Sei aufrichtig, was ist eigentlich deine wirkliche politische Meinung?«
    Pascal betrachtete seine Mutter mit naiver Verwunderung. Dann lächelte er und erwiderte:
    »Meine wirkliche Meinung? Ich weiß nicht … Man wirft mir republikanische Gesinnung vor, sagst du? Nun, das kränkt mich nicht im mindesten. Sicherlich bin ich ein Republikaner, wenn man darunter einen Menschen versteht, der das Wohlergehen der ganzen Welt wünscht.«
    »Aber auf diese Weise wirst du es zu nichts bringen«, unterbrach ihn Félicité lebhaft. »Man wird dich aussaugen. Sieh deine Brüder an, die suchen doch ihren Weg zu machen.«
    Pascal begriff, daß er seinen Gelehrtenegoismus keineswegs zu verteidigen brauchte; seine Mutter verübelte ihm lediglich, daß er nicht auf die politische Lage spekulierte. Er lachte ein bißchen traurig und lenkte dann die Unterhaltung in andere Bahnen. Niemals gelang es Félicité, ihn dazu zu bringen, daß er mit den Aussichten der Parteien rechnete und sich zu derjenigen schlug, die die Oberhand zu gewinnen schien. Trotzdem brachte er auch weiter hie und da einen Abend im gelben Salon zu. Granoux interessierte ihn wie ein vorsintflutliches Tier.
    Unterdessen nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Das Jahr 1851 wurde für die Politiker von Plassans ein Jahr der Angst und der Bestürzung, woraus die geheime Sache der Rougons Nutzen zog. Aus Paris kamen die widersprechendsten Nachrichten; manchmal siegten die Republikaner, manchmal war die konservative Partei obenauf. Der Widerhall der Streitigkeiten, die die Gesetzgebende Versammlung entzweiten, gelangte bis in den hintersten Winkel der Provinz, heute vergrößert, morgen abgeschwächt, immer aber so verändert, daß auch die Hellsichtigsten in völligem Dunkel tappten. Das einzige allgemeine Gefühl war, daß eine Lösung nahe bevorstehe. Und die völlige Unklarheit über die Art dieser Lösung hielt dieses feige Bürgervolk in aufgescheuchter Unruhe. Alle wünschten ein Ende dieses Zustandes herbei. Sie waren krank vor Ungewißheit; sie würden sich dem Großtürken in die Arme geworfen haben, wenn der Großtürke geruht hätte, Frankreich vor der Anarchie zu retten.
    Das Lächeln des Marquis wurde immer spitzer. Eines Abends, als im gelben Salon die Angst Granoux zu völlig undeutlichem Geknurre veranlaßte, näherte er sich Félicité und flüsterte ihr ins Ohr:
    »Mut, Kleine! Die Frucht ist reif … Aber ihr müßt euch nützlich machen.«
    Oft schon hatte Félicité, die stets Eugènes Briefe las und wußte, daß von einem Tag auf den andern eine entscheidende Wendung eintreten konnte, die Notwendigkeit, sich nützlich zu machen, eingesehen und hatte sich gefragt, in welcher Weise die Rougons wohl Verwendung finden könnten. Schließlich zog sie den Marquis zu Rate.
    »Alles hängt von den Ereignissen ab«, antwortete der kleine Greis. »Wenn das Departement ruhig bleibt, wenn keinerlei Aufstand Plassans erschreckt, wird es schwierig für euch werden, in Erscheinung zu treten und der neuen Regierung

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