Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
von rasender Selbstsucht. Gervaise brachte monatlich bis zu sechzig Francs nach Hause und trug dünne Kattunkleidchen, während er selbst bei einem der besten Schneider von Plassans schwarzseidene Westen bestellte. Jean, dieser große Bengel, der drei bis vier Francs täglich verdiente, wurde vielleicht mit noch größerer Unverfrorenheit ausgeplündert. Das Café, wo sein Vater ganze Tage zubrachte, lag der Werkstatt seines Meisters genau gegenüber, und während Jean Hobel und Säge handhabte, konnte er sehen, wie am anderen Ende des Platzes »Herr« Macquart Zucker in sein Täßchen Kaffee tat und mit irgendeinem kleinen Rentier Pikett48 spielte. Es war das Geld des Sohnes, das der alte Tagedieb verspielte. Jean ging nie in ein Café; er hatte nicht die fünf Sous, um einen Kaffee mit Kognak zu bezahlen. Antoine behandelte ihn wie ein kleines Mädchen, ließ ihm keinen Centime und verlangte genaue Rechenschaft darüber, wie er seine Zeit zubrachte. Wenn der Unglücksmensch, von seinen Kameraden mitgeschleppt, einen Arbeitstag mit einem Ausflug aufs Land verlor, zum Ufer der Viorne oder an die Hänge der Garrigues, geriet sein Vater außer sich, schlug zu und trug ihm noch lange die vier Francs nach, die am Halbmonatslohn fehlten. So hielt er seinen Sohn in einer für ihn selber einträglichen Abhängigkeit, die mitunter so weit ging, daß er sogar die Mädchen für sich beanspruchte, denen der junge Tischler den Hof machte. Zu den Macquarts kamen mehrere Freundinnen von Gervaise, Arbeiterinnen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren, kecke, lustige Mädchen, in denen mit aufreizender Glut die Frau erwachte und die an manchen Abenden die Stube mit Jugend und Fröhlichkeit erfüllten. Der arme Jean, der, weil ihn sein Geldmangel ans Haus fesselte, jedes Vergnügen entbehren mußte, betrachtete diese Mädchen mit vor Begehrlichkeit glänzenden Augen; doch das Dasein eines kleinen Jungen, das zu führen man ihn zwang, hatte ihn unüberwindlich schüchtern gemacht. Er spielte mit den Freundinnen seiner Schwester und wagte kaum, sie mit den Fingerspitzen zu berühren. Macquart zuckte mitleidig die Achseln: »Was für ein Trottel!« murmelte er mit spöttischer Überlegenheit.
    Dabei küßte er aber die jungen Mädchen auf den Hals, sobald seine Frau den Rücken kehrte. Mit einer kleinen Wäscherin, die Jean heftiger umwarb als die anderen, trieb Antoine den Spaß sogar noch weiter. Er stahl sie ihm eines schönen Abends beinahe aus den Armen. Der alte Spitzbube tat sich auf seine Schwerenöterei noch etwas zugute.
    Es gibt Männer, die sich von einer Geliebten aushalten lassen. Antoine Macquart ließ sich so von seiner Frau und seinen Kindern aushalten mit ebensoviel Schamlosigkeit wie Frechheit. Unverfroren plünderte er seine Familie aus und ging in die Stadt, um zu schlemmen, wenn zu Hause Not herrschte. Dabei spielte er sich noch als etwas Besseres auf. Kam er aus dem Café, so spottete er bitter über das Elend, das ihn daheim erwartete; er fand das Essen abscheulich; er sagte, Gervaise sei dumm und aus Jean werde nie ein Mann werden. In seinem selbstsüchtigen Genießertum rieb er sich die Hände, wenn er bei Tisch das beste Stück erwischt hatte. Dann rauchte er in kleinen Zügen seine Pfeife, während die beiden armen Kinder, von Müdigkeit überwältigt, über den Tisch gebeugt einschliefen. So vergingen seine Tage, leer und angenehm. Es schien ihm ganz selbstverständlich, daß man ihn aushielt wie eine Dirne und daß er seine Faulheit auf den Polstern einer Weinschenke rekeln oder sie in kühlen Abendstunden auf dem Cours Sauvaire oder der Avenue du Mail spazierenführen konnte. Schließlich erzählte er seine Liebesabenteuer in Gegenwart seines Sohnes, der ihm mit den brennenden Augen eines Ausgehungerten zuhörte. Die Kinder ließen alles geschehen, weil sie gewöhnt waren, in ihrer Mutter die demütige Dienerin ihres Mannes zu sehen. Fine, diese handfeste Person, die ihn gehörig durchprügelte, wenn sie beide betrunken waren, zitterte noch immer vor ihm, wenn sie im Besitz ihrer fünf Sinne war, und ließ ihn unumschränkt im Hause herrschen. Nachts stahl er ihr manch schönes Stück Geld, das sie tagsüber auf dem Markt verdiente, ohne daß sie sich etwas anderes als versteckte Vorwürfe erlaubte. Manchmal, wenn er bereits im voraus das Geld der Woche verbraucht hatte, beschimpfte er die Unglückliche, die sich halbtot arbeitete, sie sei ein armseliger Dummkopf, weil sie sich nicht aus der Patsche zu

Weitere Kostenlose Bücher