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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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tagsüber Kastanien in der Markthalle verkaufte und abends die alten schmierigen Strohstühle des Stadtviertels ausbesserte. Pierre war doch sein Bruder und hatte nicht mehr Recht dazu als er, Macquart, bequem von seinen Zinsen zu leben. Noch dazu spielte er heute den feinen Herrn mit dem Gelde, das er ihm, Antoine, gestohlen hatte. Sobald er auf diesen Gegenstand zu sprechen kam, erfüllte sich sein ganzes Wesen mit Wut; er keifte stundenlang, wiederholte bis zum Überdruß seine alten Anschuldigungen und wurde nicht müde zu erklären: »Wenn mein Bruder dort wäre, wo er hingehört, dann würde heute ich Rentier sein!« Und wenn man ihn fragte, wo denn sein Bruder hingehöre, antwortete er mit fürchterlicher Stimme: »Ins Zuchthaus!«
    Sein Haß wuchs noch, als die Rougons die Konservativen um sich geschart hatten und in Plassans einen gewissen Einfluß gewannen. In seinem ungereimten Kaffeehausgeschwätz wurde der berühmte gelbe Salon zu einer Räuberhöhle, einer Gesellschaft von Verbrechern, die alle Abende auf ihre Dolche schworen, das einfache Volk umzubringen. Um die Hungerleider gegen Pierre aufzuwiegeln, ging er so weit, das Gerücht zu verbreiten, der frühere Ölhändler sei durchaus nicht so arm, wie er sich hinstelle, er verstecke seine Reichtümer aus Geiz und aus Angst vor Dieben. Seine Absicht war, die Armen aufzuhetzen, indem er ihnen Räubergeschichten erzählte, an die er schließlich oft selber glaubte. Seinen persönlichen Groll und seine Rachegelüste verbarg er recht schlecht unter dem Schleier der reinsten Vaterlandsliebe; aber er war von einer solchen Geschäftigkeit und sprach mit einer solchen Donnerstimme, daß niemand gewagt haben würde, seine Überzeugtheit zu bezweifeln.
    Im Grunde genommen hatten sämtliche Glieder dieser Familie die gleiche Sucht brutaler Begierden. Félicité, die einsah, daß Macquarts übertriebene Ansichten nichts weiter waren als unterdrückter Zorn und gereizte Mißgunst, hätte ihn sehr gern gekauft, um ihn zum Schweigen zu bringen. Unglücklicherweise fehlte ihr das Geld dazu, und sie getraute sich nicht, ihn bei dem gefährlichen Spiel zu beteiligen, das ihr Mann spielte. Antoine tat ihnen bei den Rentiers der Neustadt den allergrößten Abbruch. Es genügte schon, daß er ihr Verwandter war. Granoux und Roudier warfen ihnen immer wieder voll Verachtung vor, daß sie einen solchen Menschen in der Familie hatten. Deshalb fragte sich Félicité angstvoll, wie sie sich von diesem Flecken reinwaschen könnten.
    Es erschien ihr ungeheuerlich und unpassend, daß Herr Rougon später, wenn er einmal zu Reichtum gelangt war, einen Bruder haben sollte, dessen Frau Kastanien verkaufte, während er selber in schwelgerischem Müßiggang lebte. Sie zitterte schließlich für den Erfolg ihrer heimlichen Pläne, die Antoine mutwillig gefährdete; wenn man ihr die Schmähreden zutrug, die dieser Mensch in aller Öffentlichkeit gegen den gelben Salon losließ, schauderte ihr bei dem Gedanken, daß er imstande war, sie mit hartnäckiger Feindschaft zu verfolgen und ihre ganzen Hoffnungen durch einen Skandal zu vernichten.
    Antoine spürte sehr wohl, wie bestürzt die Rougons über sein Verhalten sein mußten, und nur um sie ans Ende ihrer Geduld zu bringen, heuchelte er tagtäglich radikalere Überzeugungen. Im Café sprach er von Pierre als »mein Bruder« und schrie dabei so laut, daß sich alle Gäste umdrehten. Traf er auf der Straße einen der Reaktionäre des gelben Salons, so murmelte er dumpfe Schimpfworte, die der von soviel Frechheit verblüffte, würdevolle Bürger abends bei den Rougons wiederholte, als wolle er sie für diese unangenehme Begegnung verantwortlich machen.
    Eines Tages kam Granoux wütend an und schrie schon auf der Türschwelle:
    »Es ist wirklich unerträglich, auf Schritt und Tritt wird man beschimpft!« Und sich an Pierre wendend: »Mein Herr, wenn man einen solchen Bruder hat wie Sie, dann befreit man die menschliche Gesellschaft von ihm. Ich ging friedlich über den Platz der Unterpräfektur, als dieser Schuft beim Vorbeigehen ein paar Worte murmelte, aus denen ich deutlich den Ausdruck ›alter Spitzbube‹ herausgehört habe.«
    Félicité wurde blaß und glaubte, sich bei Granoux entschuldigen zu müssen, aber der gute Mann wollte nichts davon hören und sprach vom Nachhausegehen.
    Der Marquis beeilte sich, die Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen.
    »Es ist recht erstaunlich, daß dieser Unglücksmensch Sie einen alten Spitzbuben

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