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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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überflüssigen Triebe ab, die ihren Blumen auf den Leib rückten, stach den trockenen Lavendel aus der Erde, kappte dem Salbei den Flaum. Klappte sich wie ein Taschenmesser zusammen, genoß die Schmerzen im Rücken, während die Beete sauber und übersichtlich wurden, selbst die wuchernden fleischfingerigen Pflanzen unten am Pool wurden auf Treppenhöhe gekappt und flogen mit ihren gummiartigen Gliedern auf den Kompost. Sie schwitzte in der winterlichen Mittagssonne, sie trank literweise Wasser direkt aus dem Plastikkanister, sie aß kaum etwas, es war eher so, als fastete sie. Dann drehte der Wind, und sie spürte die Gnade der Erschöpfung. Sie meinte, das Klingeln der Glocke unten am Tor zu hören, sie ging über die Auffahrt hinunter und sah, daß es offenstand.
    Sie lief auf das Tor zu, auf den schmiedeeisernen Duft von Sicherheit. Ihre Plastiksandalen schnalzten an ihren Hacken, und jeder Schritt knirschte im Kies. Das Eisen des Tors war auf der Sonnenseite heiß, sie fügte ihren Schlüssel ins Schloß und brachte an diesem Griff den Rollmechanismus in Bewegung. Das Tor ratterte über seine Schiene, einmal in Fahrt, lief es von allein. Mit beiden Händen federte sie den Knall ab, der gekommen wäre, hätte sie es laufen lassen. Vorsichtig bugsierte sie die Zunge ins Schloß. Mit einem satten Schnappen rastete der Zylinder ein. In diesem Augenblick war ihr, als bewege sich etwas hinter ihr, sie drehte sich um. Ihr weites Grundstück, Terrasse für Terrasse, Baum für Baum, der Hügel dahinter, das angeschmiegte Haus. Sie roch den Sandboden, den trockenen Staub auf den Steinen, das dickflüssige Öl, auf dem die Schiene des Tores lief. Sie roch den Asphalt der Straße. Der Himmel eine Kuppel ohne Ende, das Licht so klar, als habe es jemand mit Spiritus ausgerieben. Hier stand sie, im Aufwallen und Abebben der schnarrenden Rufe, im unermüdlichen Gesang der ewigen Seelen, wenn man daran glaubte. Senta nahm wahr, daß kein Wind mehr ging,kein Blatt sich bewegte. Und sie wußte, daß das ihr Leben war, genau das, kein anderes. Daß eine Wunde nur heilte, wenn man sie nicht berührte. Das Hintergrundgeklingel der Schafe vom Nebengrundstück, weit weg, so weit weg, daß es keine Frage aufwarf. In ihrer Unauffälligkeit waren die Schafe sich zum Verwechseln ähnlich, nur für den Besitzer markiert mit einem roten oder grünen Farbfleck, so wanderten sie über die Berge und fraßen im Schatten der Bäume, ein Leben lang die Beine zusammengekettet, als gelte es vor allem, ihre Flucht zu verhindern.
    Hier würde sie bleiben und den Schlaf ihres Mannes bewachen, dafür sorgen, daß alles so blieb, wie es war. Auch, wenn es bedeutete, sich wie die Schafe abzustumpfen, gefühllos zu werden, die Reste Schmerz zu verbannen, die ab und zu ihr Herz aufzurühren imstande waren.
    Sie schloß in einer konzentrierten Bewegung ab und ging hoch zum Haus.

D ie Auguststraße war mittlerweile eine aufgeräumte Straße, nur noch sehr wenige Häuser trugen keine Kaubonbonfarben oder waren eingerüstet, um frisch gestrichen zu werden. Die Übriggebliebenen schienen aus der Zeit gefallen zu sein mit ihren graubraunen kriegsversehrten Fassaden. Angefressen und mißmutig wirkten sie neben all dem Aufbruch, dem verputzten Neuen, irgendwie rauhbeinig, trotzig und ein wenig mitleiderregend, fand Katarina. Das Klingelschild des Hauses, in dem Gregor wohnen sollte, war aus hochpoliertem Messing, die Namen eingraviert, selbst die Schrauben glänzten wie die Knöpfe. Sie konnte erahnen, welch sattes Signal von hier unten nach oben geschickt wurde. Die Fassade des Hauses, aus dessen Balkonen mal Birken gewachsen waren, war eidottergelb.
    Katarina zögerte. Sie hatte sich nie vordergründig mit der Suche nach ihrem leiblichen Vater beschäftigt, aber ihre Neugier, und ein gewisses Vakuum an Halt, hatten sie immer wieder vorangetrieben. Es hatte einige Jahre gedauert, bis sie sich getraut hatte, ihre Mutter nach dem Namen des Mannes und seinem möglichen Wohnort zu fragen. Sie nahm von dem Telefonat mit ihrer Mutter vor allem eine Erinnerung mit: wie kühl sie geklungen hatte, wie leidenschaftslos. Weder der Funken einer Anklage noch ein nostalgisches Ausatmen: Ach, damit beschäftigst du dich jetzt. Als handle es sich um eine belanglose Information, die sie ihrer Tochter bereitwillig geben konnte. Katarina ahnte, daß hinter deremotionslosen Fassade ihrer Mutter ein Aufruhr im Gange sein mußte. Der Grund, warum Senta nie früher über diese nicht

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