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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Wiedergutmachung, ein wärmender Schal, während draußen in der Stadt, mitten im Sommer, an allen Grenzen, die Temperaturen auf einen Nullpunkt sanken.
    Er hatte die letzten Zeitungen mit den Schlagzeilen einfach im Holzofenherd in der Küche verfeuert. Er war zu ihr ins Wohnzimmer gekommen und hatte ihr erzählt, daß es nicht sein könne, daß sie sich von der Welt da draußen wieder diktieren ließen, was sie zu tun und zu lassen, wie sie sich zu fühlen, zu verkriechen, was sie auszuhalten hätten. Als Akt der Gegenwehr habe er das Geschäft betreten, und die Verkäuferin habe zu ihm gesagt, daß Flieder die Farbe der Saison sei und besonders ergrauten Damen zu zeitlosem Glanz verhelfe. Das habe ihm gefallen, hatte er gesagt und fast unbeholfen gelächelt. Er schien vollkommen ungeübt darin, ihr ein Geschenk zu überreichen. Das hatte sie zugänglich werden lassen, selbst überrascht davon und auch peinlich berührt, wie abwegig es ihr erschienen war, ihm jemals wieder eines zu machen. Daß er sich überwunden hatte, schätztesie. Daß er die Veränderung der Welt, die ewig gleichen Spiele der Mächtigen, aus seiner Wahrnehmung verbannte, daß er immer noch dazu fähig war, das erstaunte sie und machte sie auf eine rätselhafte Weise fast glücklich.
    Eine fliederfarbene Pelzstola, schmal und mit Satinfutter auf der Innenseite. Nichts war so anschmiegsam wie ein Pelz.
    Sie hatte gemerkt, daß er sich auf ihre Frage, woher das viele Geld für so ein teures Geschenk, vorbereitet hatte. Sie hatte darauf geachtet, keinen Vorwurf zu formulieren, sondern nur eine harmlose, interessierte Nachfrage, mehr, um zu hören, daß das doch eh eine überflüssige Frage sei, weil sie doch wisse, daß er mittlerweile ganz gut verdiente. Er hatte ihr erzählt, daß seine Arbeit mit einer Sonderauszahlung honoriert worden sei, die gleichwohl mehrere getroffen habe, da sie insgesamt mit ihrer Zeitung von den West-Alliierten gelobt worden seien für ihre vorbildliche Arbeit zum Aufbau einer stabilen Demokratie in Deutschland. Sie hatte keinen Zweifel daran, auch jetzt nicht, während sie spielte und den Pelz und seine warmen Hände am Hals spürte. Sie begann zu singen, sie sang das Lied von den Schwarzen Augen, ausschließlich für Frau Kattner sang sie das, und wechselte abrupt in einen Kasatschok. Die Männer begannen das Tanzen und kamen gleich in den Wettstreit, der Chef kreuzte die Arme, Herr Kattner keuchte, Anton führte den Prisjadka vor, es war ein Lachen, Fluchen und Stöhnen, und Nadja spornte die Männer an, bis der Chef kapitulierte und sich auf seinen Stuhl am Eßtisch rettete. »Mein Gott«, sagte er, »Sie machen mich fertig.«
    »Wenn die Amerikaner sähen, was die Männer tanzen, die sie eben noch gelobt haben«, sagte Nadja, als sie zurück zum Tisch kam.
    »Gibt es noch eine Nachspeise«, fuhr Anton sie an. Sie schaute auf, verwundert, diese kalte Ablehnung in seinem Gesicht zu sehen.
    »Das weißt du doch«, sagte sie leiser.
    »Was haben die Amerikaner denn gelobt?«, fragte Frau Marusch dazwischen.
    »Nadja, der Nachtisch«, sagte Anton und wartete, bis sie in der Küche verschwunden war.

I n der Redaktion war die Luft gesättigt mit nervöser Gereiztheit. Kattner kam ihm entgegen, Anton fragte nur: »Was ist denn mit dir?« Und Kattner sagte nicht mehr als: »Mein Gott, das werden die Sowjets nicht machen.«
    »Und wenn doch?« rief Anton, ohne einen Schimmer, was Kattner meinte.
    »Wenn doch«, rief Kattner im Gehen zurück, »dann ist es allein deine Schuld.«
    Es sollte ein Scherz sein. Dachte Anton. Es konnte kein Scherz sein. Dachte er dann. Es war ein Scherz, Kattner scherzte immer. Es war kein Scherz. Kattner wußte Bescheid. Anton spürte, wie sich der Schweiß in seinen Achselhöhlen sammelte, sein Herz schlug viel zu schnell, es zentrierte seine Wahrnehmung an seinen flimmernden Klappen. Er mußte seine Kehle von klebrigem Schleim befreien. Er zwang sich, so etwas Ähnliches zu tun wie atmen. Es ging nicht, der Brustkorb war zu eng. Kattner konnte nichts wissen. Woher sollte Kattner was wissen? Und, was hatte er gemacht? Einige Namen aufgeschrieben, die er recherchiert hatte, aber weil das nach so wenig ausgesehen hatte, hatte er noch weitere Namen dazuerfunden. Nicht nur Müller und Meier, der Abwechslung halber ein paar ausgefallene Namen, dazu Vornamen, die mehrheitlich – seiner Erinnerung nach – seiner Familie entstammten.
    Augenblicklich gaben seine Knie ihre Standhaftigkeit auf. Sein

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