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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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sorgfältig. Im Keller: Schmetterlingssammlung, Brieftaubenkäfig, Holzstapel – weg. Im Erdgeschoß: Gründerzeitmöbel, alle Tapeten – raus, das Parkett polieren, die Fenster lackieren. Eine neue Küche. Das Lydchen wandte sich an Senta, als sie mit ihrer Entourage am Küchentisch stand und ihrer Tochter diktierte: Oberschränke, Unterschränke, Fliesenspiegel – weg.
    »Muß das wirklich sein, Frau Müller-Bredow?«
    »Die neue Arbeitsfläche wird höher«, erwiderte Senta barsch. Wie zur Entschuldigung lächelte sie dazu. Das Lydchen drehte sich zurück zum Schneidebrett und hackte die Petersilie fertig.
    »Wo kommt denn das Alte hin?«, hörte sie die Haushälterin noch fragen, als sie schon im Flur am Fuß der Treppe war.
    Im ersten Stock, in Sentas und Michaels Schlafzimmer, mußte endlich und sofort das Gründerzeitbett mit seinem verstaubten Himmel verschwinden. Jedes Kinderzimmer sollte eine andere Farbe bekommen, so daß sie wählen konnten, ob sie heute im blauen, gelben, grünen oder im himbeerroten Zimmer spielen wollten. Senta stand, mit Malte auf dem Arm und umrundet von mittlerweile allen ihrenKindern, vor den drei zugemauerten Türen. In ihrem Schwung hatte sie gedacht, sie einfach öffnen, die Mauern untersuchen zu können, in der Überzeugung, das, was sich dahinter verbarg und zum Vorschein kommen würde, auszuhalten. Archive, Geheimnisse, egal was. Jetzt stand sie da, und ihre Kinder redeten aufgeregt durcheinander, Michi bat Martin vorzugehen, Markus zog den beiden die Ausschnitte ihrer Pullover um die Hälse, so daß sie protestierten, Katarina schwieg, wie meistens, ein stiller Pol in all diesem Trubel, scheinbar ohne Angst und Eile, aber selten Senta zugewandt. Dann bot sich Martin an, als erster einen Stein herauszuklopfen. Senta drehte sich um und sagte: »Laßt uns auf den Dachboden gehen.«
    Durch die fehlenden Schindeln konnte man in den hellblauen Sommerhimmel schauen. Biberschwänze – neu, buchstabierte Katjuscha auf ihr Papier.
    Am Ende des Tages, am Ende ihrer Begehung des Hauses, übertrug Senta die Notizen ihrer Tochter in ein Auftragsschreiben und suchte am nächsten Tag die Firma auf, die das alles für sie zu erledigen hatte.
    Drei Monate später, im frühen Herbst, waren im Erdgeschoß die Wände, Türen, Fußböden, Regale, Möbel und Sofas so weiß und hell, daß die meisten Menschen, die das Haus betraten, den Eindruck hatten, es hätte in den Räumen geschneit. Ganz entgegen der Mode der Zeit hatte Senta kein Braun, Dunkelgrün oder Beige zum Einsatz kommen lassen. Die Küche, die Fliesen, der Tisch, alles weiß, wodurch Lydchen mit ihren maisgelben Strickpullovern über den leicht ausgestellten, wadenlangen Wollröcken wesentlich altertümlicher und aus der Zeit gefallen wirkte als zuvor. Im Arbeitszimmer stand der mahagonifarbene Flügel, ansonsten war auch hier alles weiß. Bei den Kindern gab es die unterschiedlichen Farben. Das Schlafzimmer der Eltern strahlte, daß es besser war, die Augen zu schließen.
    Als Michael auf dem Höhepunkt der Umbauarbeiten für ein paar Tage in eine benachbarte Pension umzog, ergriff Senta die Chance auf ein weiteres Abenteuer für sich und die Kinder und campierte im Garten. Die Jungs rannten jeden Morgen ums Haus herum, die Bauarbeiter begrüßen, sogar Malte hielt mit seinen knubbeligen Kinderfingern am Ende eine Schlagbohrmaschine wie ein Handwerker. Martin, Markus und Michi konnten einen Rohrentgrater von einem Entgratfräser unterscheiden. Zuletzt kam der Außenanstrich, eine zimmergroße Sandkiste, eine Kletterlandschaft, und ein Handwerker, der nichts mehr anderes zu tun hatte, baute ein zweistöckiges Baumhaus in die Krüppelkiefern. Senta organisierte ein Gartenfest zum Abschied, und dann stand sie am Abend das erste Mal seit vielen Monaten ohne andere Menschen in ihrem neuen Wohnzimmer. Das Weiß warf alle Gedanken zurück. Es war größer als sie. Es gab nichts zum Festhalten, keine Ordnung, nur Möglichkeiten. Es war eine optische Täuschung, und das gab ihr ein gutes Gefühl. Sie hörte, wie Michael das Haus betrat, seinen Koffer an den Fuß der Treppe stellte, und wie er langsam durch den Flur in Richtung Wohnzimmer mäanderte. »Ich weiß nicht, was ich davon zu halten habe«, sagte er, als er eintrat.
    »Alles ist gleich«, sagte Senta.
    »Ein schöner Wunsch«, erwiderte er.
    Im Weiß des Raumes leuchtete eine untergründige Traurigkeit in seinem Gesicht, die sie nie zuvor wahrgenommen hatte. Gern hätte sie ihm

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