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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Seidenstrümpfen. Sie schminkte sich ihre Lippen nicht auffällig, aber dennoch immer. Ihre Haut war ohne Makel, wie Michael auch ihre Art zu denken, zu recherchieren, zu diskutieren ohne die Flecken des Ehrgeizes,der Eifersucht, der Falschheit erschien. Sie war nicht ahnungslos und naiv, aber sie strahlte eine Reinheit aus. Unschuld und auch Unabhängigkeit, was damit zu tun haben mußte, daß sie Menschen zur Bestätigung nicht zu brauchen schien. Er war ihr nicht entkommen. Wie unter einem Zwang stehend, hatte er erfahren wollen, wie sie sich anfühlte. Er war ausgezehrt gewesen, auch das, er hatte sich verkühlt an Sentas Unnahbarkeit. Seine Sehnsucht nach einem Körper war zu groß gewesen. Und Sabine Meier mit all diesen aufrechten Konsonanten in ihrem Namen hatte ihm gezeigt, wie potemkinsch sein Leben war, wie sehr er das Gegenteil seines soliden, sicheren Hauses war.
    Hinter diesen Fakt konnten sie beide nicht mehr zurück. Was immer noch nicht allzu dramatisch gewesen wäre, wenn er sie hätte abschütteln und loswerden können, wie er es sonst zu tun pflegte mit Menschen, die ihn in Frage stellten oder seinen Status untergruben. Die er vergessen konnte.
    An Sabine Meier war er kollidiert. Aber auch das war nicht das Verheerende. Verheerend war, daß sie vor einem Monat zum Sozius in seiner Kanzlei geworden war. Forensische Tätigkeiten, Zivilrecht, Insolvenzrecht, Arbeitsrecht. Keine Referendarin, keine Angestellte. Ein gleichberechtigter Partner, demnächst würde sie mit ihrem Namen im Briefkopf, am Türschild stehen.
    Er war so ein elender Dummkopf. Dieser Gemütsregung folgend, faltete er sich aus dem Wagen, hob seinen Aktenkoffer aus dem Kofferraum. Warndreieck, Leuchtweste, sauberer Filz, warum nicht darunter alles verschwinden konnte, so, wie es seine Eltern noch hingekriegt hatten, alles verschwinden zu lassen, überlebensnotwendig und die beste Lösung, um wieder ein soziales Wesen zu sein, hinein in den Kofferraum, unter den Filz, bitte schön, da bliebe es den Rest seines Lebens, gut aufgehoben, herumkutschiert, im Winter warm, im Sommer kühl.
    Aber irgendwie ging das nicht mit dieser Frau, mit Sabine Meier, die ihm in einer Sekunde nur gezeigt hatte, wie süchtig er war, wie bedürftig, wie sehr er sich hatte hingeben wollen und Hingabe suchte, die Hingabe, die wirklich gab, weil sie selbst nicht brauchte.
    Und dabei hatte sie ihren eisbonbonkühlen Blick bewahrt, ihre Ruhe, eine seltene Form von Gelassenheit, die er an Frauen so gut wie nie mehr zu finden vermocht hatte. Nichts Verhärmtes, nichts Ängstliches, keine Abhängigkeit vom Zuspruch des Mannes, von den Gesten der Macht, von Blicken oder geflüsterten Worten.
    Er war ihr vorher körperlich nie nahe gekommen. Er war in ihrer Gegenwart sogar vorsichtig geworden, wachsam, was seine Körperhaltung betraf. Ein verbindlicher Händedruck, eine knappe Berührung beim Hinausgeleiten, die Art, wie er einer Dame den Mantel zum Anziehen darbot und so lange das Revers am Kragen offenhielt, bis sie vollständig hineingeschlüpft war. Die machtvolle Nähe, die man zu einer Frau hatte, wenn man ihr die Tür offenhielt. Ein nickendes Kompliment, wie er es seiner Sekretärin gerne gab, dafür einen scheuen Blick zum Dank zurückbekam. Die Strenge, wenn er sie zu tadeln hatte, zum Abschluß gemildert durch ein knappes, freundschaftliches Drücken ihres Oberarms, eine Ermutigung, die sie immer als solche verstand und den Fehler nie wieder machte.
    Dann waren Sabine und er nach einer langen, sie beide erschöpfenden Verhandlung essen gegangen.
    Sie waren in ein schummriges Steakhaus eingekehrt, das wenige Licht – direkt über dem Tisch – hatte ihre Erscheinung noch leuchtender gemacht, als tilge der Halbschatten noch die letzte Unreinheit. Sie hatte ihm von ihren Eltern erzählt. Von den Ansprüchen der ehrgeizigen, aber überforderten Fraumutter, von dem stillen Vater, der nach der Rückkehr aus russischer Gefangenschaft vor allem seine Ruhe haben wollte, mal einen Schnaps und gutes Essen mit hohem Fleischanteil. Sie hatte mit ruhiger Stimme gesagt, daß sie wisse, daß sie allein bleiben werde. Daß sie keine Familie, keine Kinder haben, sondern diesem Leben auf eine andere Art auf den Grund gehen wolle. Sie wolle verstehen, warum sie das Recht erhalten habe, zu leben. Dann hatte sie gelacht und gesagt: »Klingt nach einer ein bißchen zu großen Frage, hm?« Sie hatte gesagt, daß es für Kinder bei einer anderen Frau einen besseren Platz gäbe,

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