Das Glück der Zikaden
unter sich und hielt den Kopf ihres Kindes fest.
Da kam ein Mann herein, kein Gott in Weiß, nur ein Pfleger in Hellgrün, er staunte und pfiff, er hob Senta in einer einzigen knappen Bewegung unter ihren Armen hoch und trug sie an langen Reihen von Bullaugen vorbei in einen ihm gleichenden hellgrünen Raum, Senta mußte die Augen schließen, das Neonlicht war so hell. Der Pfeifer hielt ihr die Hand, bis der Arzt kam, der ihr zuerst befahl, bitte nicht so ein Theater zu veranstalten. Senta hing noch dem Augenblick nach, da der Kopf ihrer Tochter durch den Muttermund geflutscht war, ein Fisch, der bis auf die Kuppe einesBerges geschwommen war, ein Körper, vollgepumpt mit Wasser, und oben angekommen, spuckte er es aus und rutschte hinunter. Da, in der Sekunde, da das Kind draußen war, waren die Schmerzen vorbei. Es schrie, der Gott in Weiß sagte das, was Senta schon seit Monaten wußte: »Sieh mal einer an, ein gesundes Mädchen.« Sie sah kurz, wie er mit der Beiläufigkeit eines geschulten Chirurgen die dunkelgrüne Nabelschnur durchschnitt, dann wurde sie überrumpelt vom Wassergestein des Berges, auf den sie zusammen mit dem Fisch geschwommen war, es kam herunter, weich, narkotisierend, auf sie beide. Wo ein Brocken lag, quetschte er aus den Zwischenräumen alles, was noch in ihr war. Sie hatte sich einmal von innen nach außen gewendet, wie sie sich vorher von außen nach innen gewendet hatte, nur dieses Mal nicht so leichtfüßig, angenehm und nebenbei.
Ein gesundes Mädchen, das war das Geschenk, was der Gott ihr überreichte, mit stolzer Herablassung im Gesicht, als sei er der Vater. Rotgesichtig, staunend schaute nicht Gregor sie an, sondern Nadja. In der Geschäftigkeit, die um sie herum im Gange war, verlor sich Sentas Erleichterung. Zugleich hielt die Tatsache, daß ihre Tochter ihrer Mutter so ähnelte, sie aber auch vom spontanen Verlieben ab. Das Neugeborene starrte zu ihr hoch mit seinen alten, wissenden Augen, seinem irgendwie russischen Blick unter den geschwollenen Lidern, wimpernlos und nackt. Der Pfleger schob sie mitsamt der Liege aus dem Neonlicht, das nun doch nichts enthüllt hatte, an der dämmrigen Kammer vorbei in einen anderen Neonsaal, der mit gelbweißen Vorhangwänden durchzogen war. Sie sollte sich vom Kunstleder in ein frisch bezogenes Bett rollen, der Pfleger hatte wieder sein Pfeifen begonnen, unterbrach seine Melodie kurz und half ihr. Sie sagte, daß sie sich wünsche, ihren Mann zu sehen. Der Pfeifer sagte: »Aber er ist nicht steril, er kann hier unmöglich rein, meine Dame.«
»Aber«, begann Senta, nur da war der Pfeifer schon zwischen den Spanischen Wänden verschwunden.
So lag ihre Tochter eine unbestimmbare Zeit auf dem Baumwollkittel über ihrer Brust, und beide versuchten, sich aneinander zu gewöhnen. Was von da an, das war ihr in geistesgegenwärtiger Schärfe klar, alles in allem, schon mal ein Leben dauern kann.
Später wachte Senta auf, ihr Kind war fort von ihrem Bauch, sie wankte durch den Flur, an den Bullaugen vorbei, bis sie hinter einem von ihnen Michael stehen sah. Er sah sie auch, wie zwei Fische wurden sie sich am Glas des Aquariums gewahr, bis Michael die Tür aufriß und Senta in den Arm nahm, festhielt und trug, bis sie beide von einer demütig-verunsicherten Krankenschwester aufgehalten wurden. Hier, hinter dem Panzerglas, deutete diese mit einer Geste an, läge ihr kleines rothäutiges Bündel, fest eingepackt in strahlend weiße Baumwolle, in einem weiß gepolsterten Plexiglasbett, sie durften ihm von Ferne aus zuwinken. Zwei ihrer freundlichen Kolleginnen konnten zwischen den Außerirdischen in ihren fragilen Raumschiffchen herumspazieren und wirkten dabei selbst wie Wesen von einem anderen Stern. Warum auch näher rankommen, ein Säugling sieht eh noch nichts. Endlich, zum Milcheinschuß, den der Arzt so allwissend vorausgesagt hatte, legte man Senta ihr Kind wieder auf den Bauch, wieder frisch gewaschen, sauber, als hätte es sich in der Zwischenzeit arg dreckig gemacht, das Plastikbändchen am Handgelenk, und ihre Tochter öffnete die Augen und schaute sie geradeheraus an, als sehe sie alles, kein Geheimnis der Welt war sicher vor diesem Blick. Der Kopf war zu schwer, er taumelte, fiel auf Sentas weichen Bauch, wieder ein Berg, den das Kind erklimmen mußte, dieses Mal mit einer prallen Brustwarze als Spitze, und Katarina, Katjuscha, Katjuschinka, wie Senta sie mit einem von Nadjas Namenfür sich nannte, robbte und erklomm. Das Natürlichste
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