Das Glück der Zikaden
überzeugen, sie sollten arbeiten. So ist mein Hausbau am nicht anwesenden, womöglich auch unfähigen Architekten gescheitert, könnte man sagen.senta, (entschuldige, daß ich deinen Namen klein schreibe, das große s funktioniert nicht) ich schicke den Brief nicht per Post, das ist kein guter Weg im Augenblick. Ich gebe ihn einem Freund mit, einem Vertrauten. Ich vertraue ihm wie ich dir vertraue. Hatte ich mir Illusionen mit dem Hausbau gemacht? Nein. Ich war überzeugt, daß es der einzig richtige Weg sei, genau das einmal in seinem Leben zu wagen. Wärst du bei mir, denke ich manchmal, hätte meine Hoffnung länger Nahrung bekommen; die desillusion (auch das große d hat seinen Geist aufgegeben) ist ein einsamer Prozeß. du bist in meiner Vorstellung (ich weiß, du bist so alt wie ich) nicht älter geworden, nur noch schöner. das Entrückte wirst du dir gehalten haben, vielleicht hast du Kinder, die werden deine Feenhaftigkeit mit ihrer Energie natürlich geschmälert haben. Vielleicht auch erhöht, wer weiß. Irgendwie war ich mir immer sicher, du hast den Mann von damals geheiratet, keine Namen, wie auch der Brief nicht existiert, nachdem du ihn gelesen hast.
Ich schreibe dir, senta, weil ich dich um eine ganz bestimmte Lieferung bitte. Ich bin zur Zeit dabei, eine Terrassenüberdachung zu konstruieren, da ich kein Architekt bin, dauert die Arbeit etwas länger. Integrierte Querträger sollen dazu beitragen, daß die Terrasse gut und weit begehbar ist. Sie hat stattliche Außenmaße und dient vor allem dazu, das Haus auch bei Regen verlassen zu können. Um mit meiner Konstruktion weiterzukommen, bitte ich dich, mir bei der Beschaffung von konstruktionstechnischen Informationen zu helfen. Meine Mathematik war einseitig, von links nach rechts kann ich rechnen, andersherum nicht. Wenn du irgendwelche Möglichkeiten hast, mir Informationen zu Profilen, die eine höhere Stabilität erzeugen, längsverleimte Furnierschichten, die mich weiterbringen könnten usw. zu übermitteln – ich wäre dir sehr dankbar. Ich erwarte sehnsüchtig deine Antwort, du kannst sie vertrauensvoll meinemguten Freund, der, während du den Brief liest, in deiner Nähe warten wird, in die Hand drücken. Ich danke dir mehr als von Herzen. Wenn bald die Terrassenüberdachung steht, dann kann ich die Brüchigkeit des Hauses womöglich verschmerzen. daß ich dich frage und bitte, wird dir zeigen, wie angewiesen ich in konstruktionstechnischer sicht von dir bin. daß es dringend ist, muß ich dir nicht sagen. Auch nicht, wer ich bin.‹
Senta las den Brief ein zweites Mal, bestätigte dabei ihr Gefühl, was die Terrassenüberdachung zu bedeuten hatte, dann riß sie das Papier über dreißigmal kreuz und quer durch und warf die Schnipsel auf die grauschwarze Asche im Kamin. Sie legte Äste, Reisig und zerknüllte Zeitungsseiten darüber und zündete alles zusammen an.
Der Fremde saß noch im Flur, hatte das Glas geleert, seinen Hut auf den Knien, und unterhielt sich mit Lydchen.
»Lassen Sie uns einen Augenblick allein, Lydia?«
Der Mann schien, wie sie, auf jeden von Lydchens Schritten zu horchen, bis sie wieder am Herd zu stehen schien, ein Kochlöffel leise am Gußeisen klapperte.
»Was kann ich ihm sagen?«
Senta schaute den Mann an, seine vertrauenswürdige Rundlichkeit, eingepackt in den zeitlos unmodischen Anzug. Der leibliche Vater ihrer Erstgeborenen bat um Fluchthilfe. Er hätte seinen Vertrauten auch bitten können, ihr diese Nachricht mündlich zu überbringen.
»Sie dürfen verreisen?«
»Verwandtenbesuch. Als Frührentner ist mir das erlaubt.«
»Und ihm nicht?«
Der Mann stand auf, schaute sich um, ein Blick an die Decke, die bauchige Flurlampe schien ihn zu beruhigen, das Weiß der Wände. »Er steht unter besonderer Beobachtung.«
Sie schwiegen einen Augenblick, der Fremde hielt seinen Hut in den Falten.
»Ich danke Ihnen für das Wasser.« Ein ehrlicher Mann, ein guter Freund, sicherlich. Gregor war ein Mensch, der Vertraute und Freunde hatte.
»Was kann ich zum Terrassenbau sagen?«, sagte Senta leise und bemerkte die Kälte ihrer Hände in den Taschen ihres Morgenmantels. »Mein Mann ist Rechtsanwalt.« Sie sah dem Fremden an, wie lächerlich er ihre Notlüge fand, sie fand sie selbst lächerlich, sie wollte so sehr etwas anderes sagen, sie sagte: »Es geht nicht.«
»A aaaaaahhhhhhh«, schrien sie gleichzeitig. Senta umklammerte die Eisenstäbe hinter ihrem Kopf, der Gurt über ihrem Bauch schnitt sie in der
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