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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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strohgelben, trockenen Gras hatten sich die Sukkulenten ausgebreitet, vom Rand des Schwimmbeckens bis an den Zaun weiter unten. Einen Augenblick lang schien es Senta, als liege hier das Eingeständnis ihres Alterns, ihr Rücken machte nicht mehr mit, zunehmend größere Flächen verwilderten, irgend etwas hinderte sie daran, den argentinischen Gärtner fest einzustellen, als wollte sie Michael beweisen, unter anderem, daß sie wirklich machte, was sie zu machen zugesagt hatte. Daß sie es war, die die Kontrolle behielt.
    Als läge Michaels zweifelnder Blick auf ihr, ein umfassender, plötzlich an allem zweifelnder Blick, dem sie sich durch unbedingte Pflichterfüllung, fleißige, endlos fleißige Treue erwehren mußte.
    Die Pumpe des Pools rasselte, es ging kein Wind, die Wasseroberfläche war ein türkisblauer Spiegel, und Senta zog ihr Nachthemd aus und stieg über die gemauerte Treppe hinein.
    Sie wußte, daß Michael ihre Pflanzversuche belächelte. Das Teilen der Setzlinge, das Bewurzeln von Ablegern. Sie machte nichts nach Lehrbuch, sie schaute einfach, ob es wuchs oder nicht. Sie pflegte den Umgang mit einfachen Pflanzen, oftmals Gartenkräutern, Rosen waren ihr zu preziöse Charaktere.
    Ihr fiel, während sie ruhig ihre Runden drehte, auf, daß an dem Zitronenbaum, der oberhalb des Pools ein Schattendasein führte, nur noch eine Zitrone hing. Er hatte zwei getragen, mehr nicht, dieses Jahr. Wahrscheinlich hatten die Ratten sie heruntergeholt, genauso, wie sie die Tomaten und die Zucchini aus den Gemüsebeeten klaubten und angeknabbert ein paar Meter weiter liegen ließen.
    Sie nahm sich vor, nach der zweiten Zitrone zu schauen.
    Sie hatte sich mit Michaels abschätzigen Blicken langsam abgefunden, im Grunde aber erst Frieden gefunden, als der Arzt seine Symptome aufschlüsselte und sie zu verstehen glaubte, woher seine fehlende Gnade rührte. Um nichts in der Welt wollte er seine Macht geschmälert wissen, selbst das eigenwillige Wachsen der Pflanzen, der kleine Rahmen ihrer Selbstbestimmung schien ihn zu stören. Auch hätte er es nicht ausgehalten, sich als Dilettant zu zeigen, als jemand, der etwas ausprobiert, weil er nicht genau weiß, wie es geht. Als jemand, der die kleine Ohnmacht akzeptieren mußte, wenn eine Pflanze sich entschied, anders zu gedeihen als gefordert. Etwas auszuprobieren, das stand ihm nicht zu, Schwäche auch nicht, beides war wie Siegfrieds Blatt, Achilles Ferse, ein Kainsmal der Verletzlichkeit, jeder Mitmensch – oder selbst jede Pflanze – würde die Chance nutzen, ihn an dieser Stelle zu fassen zu kriegen, ihn zur Strecke zu bringen.
    Er gefiel sich selbst darin nicht, das meinte Senta zu spüren. Aber sie spürte auch, wie die Sucht, alles zu kontrollieren, selbst die Zu- oder Abneigung eines Gegenübers, ihn fest im Griff hatte. Er wollte Senta gefallen, selbst dem redseligen Psychologen hatte er gefallen wollen und war sehr freundlich, charmant und zuvorkommend gewesen. Bis der Mann die erste Frage gestellt hatte. Daraufhin hatte Michael in einer kleinen Rede dargelegt, warum er und Senta sehr gut ohne Beratung klarkämen, schließlich böte die Psychologiewenig Handfestes, sei dem Recht, der Philosophie auch, weit unterlegen, wie alle Wissenschaft vom Menschen viel zu vage in ihren Begriffen, zu zerspalten in ihren Systemen, schlußendlich eine Glaubensfrage sowieso.
    Als die Krankheit schon fortgeschritten war, durfte nichts mehr zwischen ihm und den Wänden sein. Senta hatte begonnen, das Haus umzuräumen, die bäuerlichen Möbel, die sie mit dem Haus zusammen erworben hatten, sowie alles Mitgebrachte in die Zimmermitte zu schieben, so daß er seiner Wege gehen konnte. Immer an der Wand entlang. Der Arzt sagte ihr, es sei lebensnotwendig für Patienten wie Michael, das Gefühl von allumfassender Kontrolle bis zum Ende.
    Es hatte mit den Schubladen begonnen. Er stürmte in die Küche, in der sie gerade kochte – woran sie sich nach langen Jahren in der Obhut vom Lydchen erst wieder gewöhnen mußte –, zog alle Schubladen auf, schaute hinein, prüfte, zählte, schob sie wieder zu. Als habe sie ihre eigenen silbernen Löffel gestohlen, so war sein Blick. Am Anfang lächelte sie darüber noch oder machte einen kleinen Scherz, von dem sie meinte, daß er die vergiftete Atmosphäre bereinigen konnte.
    Irgendwann begann sie, die Respektlosigkeit seiner Überprüfungen zu verabscheuen, sie fluchte leise, wenn er nach seinen Durchsuchungen die Küche verließ, und erst mit der

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