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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Zeit schaffte sie es, sich selbst zu beruhigen und alles im Rahmen der Krankheit zu sehen. Die Schuhe im Flur mußten ausgerichtet werden, Messer und Gabel auch, es wurde eine Frage ihrer Gefolgschaft, ob die Gläser im Schrank vom Fuß auf den Kopf gestellt wurden. Eines Tages befahl er ihr, seine Hemden aus dem Schrank herauszunehmen und sie in einer von ihm festgelegten Reihenfolge zurückzuhängen. Sonst drohe eine verhängnisvolle, ja, das sagte er, eine verhängnisvolle Strafe. »Was für eine Strafe?«, fragte sie. »Nicht nur der Staatsanwalt ist im Bilde«, flüsterte er.
    Der behandelnde deutsche Allgemeinarzt hatte ihr empfohlen, nicht gegen Michaels Verschwörungen anzureden, auch besser keine Fragen zu stellen, sondern Beruhigendes zu sagen wie: »Schau, die haben gesehen, daß die Schuhe richtig stehen, sie werden wieder gegangen sein.« An einem Hemd fand sie einen alten Zettel angeheftet aus der Reinigung. Sie gab ihn Michael. Er schaute ihn an und sagte: »Siehst du, das ist der Beweis. Wie ich immer gesagt habe.« Sie erwiderte: »Aber guck mal, da steht 591 drauf, daß heißt doch, du hast alles richtig gemacht.«
    Der Psychologe bat sie dann anderntags, allein, ohne in Begleitung von Michael in seiner Praxis zu erscheinen. Sie kam der Aufforderung heimlich nach, ohne Michael davon zu erzählen. Fast als hätte sie sein Vertrauen gebrochen, als plane sie etwas ganz anderes mit dem nicht schlecht aussehenden, zugewandten Mann hinter dem Schreibtisch, und fühlte sich nun ertappt. Als der Arzt dann sagte, daß sich für jemanden wie Michael, eine narzißtische Persönlichkeit, jede Handlung eines anderen Menschen auf ihn beziehe, und jede Handlung ausschließlich dazu da sei, ihn zu ärgern, zu malträtieren, am Ende zu zerstören, womit einem Patienten wie Michael also nichts anderes übrigbleibe, als möglichst alles, was seine Mitmenschen taten, zu kontrollieren, zu manipulieren, letzten Endes zu minimieren –, da kam es ihr wie ein schlechter Witz vor, daß sie überhaupt diesen heimlichen Weg angetreten hatte, wie ein Verrat an Michael, so schien es ihr. Der nächste Mensch neben einem pathologischen Charakter wie Michael, referierte der schmucke Arzt höflich weiter, in diesem Falle sie, Senta, würde durch vielfältige, meist sehr subtile Strategien dazu gebracht werden, bei ihm zu bleiben. »Wollen Sie bei Ihrem Mann bleiben?«, traute sich dieser freche Mensch dann zu fragen.
    Sie war aufgestanden und konnte sich nicht daran erinnern, sich verabschiedet zu haben.
    Niemand, schon gar kein Psychologe, reduzierte ihre Ehe, Michael und ihr gemeinsames Leben, auf solche Begriffe. Borderliner, das waren ihrer Kenntnis nach magersüchtige Mädchen, die es liebten, sich mit Rasierklingen die Unterarme aufzuschlitzen. Narzißten waren größenwahnsinnige, zu klein gewachsene Staatsmänner oder Menschen, die ohne das Elixier Aufmerksamkeit nicht leben konnten. Und niemand fragte sie, ob sie bei ihm bleiben wollte. Wirklich niemand.
    Ihr Mann war eine gestandene Persönlichkeit, erfolgreich und geschätzt. Er hatte ein Vermögen mit seiner Arbeit erwirtschaftet, ein naheliegender Beweis, daß er im Leben nicht auf irgendeinem Grat spazierengegangen oder in irgendeinem Selbstbespiegelungskreislauf hängengeblieben war.
    Nach dieser Konsultation hatte sie bemerkt, wie sie Michael liebevoller betrachten konnte. Vielleicht lag es auch an dem diffusen schlechten Gewissen, das sie immer mal wieder beschlich, in den alltäglichsten Situationen, selbst wenn sie vor dem Badezimmerspiegel stand und sich schminkte, wurde sie plötzlich von einer Hitze erfaßt, die sie erröten ließ, bei dem Gedanken daran, was der Arzt ihr über Michael hatte sagen wollen und diese unverschämte Frage am Ende. Sie sah, wie er, Michael, unter sich selbst litt. Es war ihre Aufgabe, sein Leiden zu mildern. Zumindest das.
    Vor einer Woche erst hatte sie auf seinen Wunsch alle Rahmen, Fotos und Bilder abgehängt. Die spanischen Landschaftsschinken, die sie mit den Möbeln übernommen hatten, die Stiche und Landkarten, die aus Berlin mitgebracht worden waren, die Fotos der Kinder in Klipprahmen. Er sagte, dahinter verberge sich etwas, was er bewachen müsse. Sie zog die Nägel und Haken heraus, verputzte die Löcher.
    Er stand die ganze Zeit hinter ihr und kontrollierte ihr Tun. Sie verstaute die Bilder im kleinen Anbau, in ihrem Zimmer, fast ein Stück weit zufrieden darüber, ihre Kinder auf diese Weise um sich zu haben, aber mit

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