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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Zufriedenheit. Und wenn jemand das Grundstück betrat und mit staunendem Blick die Details bemerkte, dann sahsie sie auch und war für Augenblicke glücklich, wirklich glücklich, hier zu sein.
    Das Haus stand im oberen Drittel der abschüssigen Terrassen. Auch dies war ein alter Olivenhain gewesen, sie hatte die Bäume selbst zusammen mit dem argentinischen Gärtner beschnitten, Michael war vor dem geschätzten Alter der Stämme zurückgeschreckt, eine Schutzbehauptung, das wußte sie, er brachte dem Wachsen und Werden in der Natur einfach kein Interesse entgegen. Sie sollte gezähmt sein, das schon, in einem wild wuchernden Garten hätte er hier in der Fremde nicht sein können. Senta nahm sich der Arbeit an, zuerst aus Notwendigkeit, dann mit dem zunehmenden Gefühl von Befriedigung, als sie spürte, wie die Pflanzen mehr oder weniger das machten, was sie sich von ihnen wünschte, und wie das Rupfen, Wässern und Schneiden sie zu beruhigen vermochte.
    Seit Jahresbeginn, seit Michaels Krankheit nicht mehr nur für Irritationen, sondern für Verwerfungen sorgte, brauchte sie die beruhigende Wirkung ihres Gartens. Er diente ihr viel mehr als nur zur Zerstreuung. Er ließ ihre rasenden, manchmal fast wie auf der Flucht erscheinenden Gedanken langsamer werden. Er normalisierte ihren Herzschlag.
    Sein ehrliches Haus hier – hatte Michael vor kurzem, in einem lichten Moment, die immer seltener wurden, gesagt – sei das einzige Geschenk, das er sich im Leben gemacht habe. Schon einmal war ihr aufgefallen, wie er Nachbarn gegenüber von seinem Haus sprach. Sein ehrliches Haus war neu. So sehr es sie störte, daß er von seinem Haus sprach, so bewußt war ihr auch, daß der Satz stimmte. Das Haus, das war er. Der Garten, das war sie. Nach ihrem Weggang aus Deutschland hatte sie einige Zeit darauf verwandt, zu verstehen, daß er den Rückzug brauchte, wie andere Menschen Wasser zum Trinken. Hier fühlte er sich sicher. Und sie warein Teil dieser Sicherheit. Sie war das Grundstück, der Puffer zur Außenwelt, das Drumherum. Niemand kam mehr an ihn heran, keine lästige Natur, kein unkontrolliertes Wachsen.
    Seine Krankheit erschien unter diesem Blickwinkel manchmal wie eine zwangsläufige Konsequenz dieser Art von Rückzug.
    Senta griff nach ihrem Badelaken, das sie gestern abend in der Küche über die Lehne des Stuhles gehängt hatte, und öffnete die Küchentür, eine echte spanische Tür, dünn und klapprig, eine, die nicht dazu hergestellt worden war, um etwas fest zu verschließen. Der galicische Handwerker hatte sie unbedingt austauschen wollen, Michael auch, aber Senta mochte die Schnitzereien auf beiden Seiten und hatte sich dafür eingesetzt, wie im ganzen Haus, die alten Details zu erhalten. Im Gegenzug hatte Michael die Außenumzäunung bestimmt, ein knapp drei Meter hoher Eisenplattenzaun auf Betonfundament, kleine Löcher im Eisen, ein dekoratives Element, hindurchsehen konnte man nicht.
    Von der obersten Terrasse aus warf sie einen Blick über die Ebene, die sich weit erstreckte, das morgendliche Licht noch milde und klar. Dann ging sie vom Haupthaus über die geschwungen angelegten Wege zum Gästehaus hinüber. Die tannengrünen Fensterläden waren geschlossen. Wenn die Kinder hier wohnten – sie nannte sie immer noch ›Kinder‹ –, dann stand alles sperrangelweit offen, was sie mochte. An den geschlossenen Fensterläden schlich sie sich immer ein wenig vorbei, als befalle sie eine Scham ähnlich wie ein Schatten, in den man eintrat und der einen umfing.
    Der Oleander schwelgte in der Morgenkühle, über den Tag schien er unter der Hitze zu erstarren. Der Sandstein glänzte matt vom Tau, die rötlich gebrannten Fliesen hielten die Kühle. Sie zog ihre Bastsandalen aus und ging von hier aus weiter zu der schmalen Treppe, die an der Zisterne vorbeiführte und zu deren Füßen ein länglicher Anbau Platz gefunden hatte. Ihr Zimmer. So nannte sie es. Michael hatte es die Garage genannt. Offiziell hatten sie nur einen Ruheraum bauen dürfen, ein Kabuff für den Gärtner, den Chauffeur, den Haushandwerker. Da alle ihre Nachbarn illegal bauten, wagte sogar Michael es, fünf Quadratmeter größer als zugelassen mauern zu lassen. Bis heute schien sein schlechtes Gewissen noch nicht ganz abgeflaut, im Grunde verschlechterte es sich noch, als die Krankheit begann, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen.
    Von hier aus hatte man einen bezaubernden Blick auf die letzte Terrasse, die immer noch verwildert war, im

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