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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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beruhigende Lösung, wie sie fand, über die es auch nicht lohnte, mehr als nötig nachzudenken. Die grüne Zitrone lag im Abtropfgitterneben der Spüle, die Gasflamme zischelte. Die Grillen von draußen. Und dann ein Rascheln unter der Spüle, als finde etwas eine Öffnung in einer noch flachgepreßten Mülltüte, einen Eingang, den man sonst nur durch Reiben der Tüte zwischen dem angefeuchteten Daumen und Zeigefinger findet. Es war eine Kriegserklärung. Nicht mehr nur eine Beleidigung. Nichts verabscheute sie so sehr wie dieses typische Rascheln, zusammen mit dem Geruch, der seltsamerweise etwas vom Kaffeeduft hatte, etwas Herbes, dazu eine beißende Schärfe, als hätten die Kakerlaken alle gesprühten Gifte in ihrem Körper gespeichert und dünsteten sie nur langsam wieder aus, statt an ihnen zu verrecken. Sie machten ihr Haus zum belagerten Terrain, sie akzeptierten keine Silikongrenzen, keine tödlichen Köder, sie kamen immer wieder als flitzende Pfeile in Bodennähe, viel zu schnell, als daß man sie erschlagen konnte, man mußte sie direkt ansprühen, aus nächster Nähe, und lang ansprühen, um sie umzubringen.
    Sie huschten hinein, wie eine Erinnerung, kurz nach dem Aufwachen, ins Bewußtsein huschen konnte, an den letzten Traum der Nacht. Eine Ahnung, vielleicht auch, von den Kräften, die in jedem Menschen wirken. Daß sie so machtlos dem Ekel ausgesetzt war, schockierte Senta am meisten. Sie konnte sich manchmal für Minuten nicht mehr bewegen, nachdem sie ihre Kontrahenten gerochen hatte.
    Und es gab eine seltsame Konstante in ihrem südländischen Leben. Immer, wenn die Kakerlaken auftauchten – so war es in der Vergangenheit geschehen – passierte etwas Unangenehmes, Beängstigendes. Etwas, womit sie nichts zu tun haben wollte.
    Der Kaffee begann zu kochen, das sprotzende Wasser auf dem heißen Herd. Das überdeckte den Geruch für einen Augenblick. Sie beugte sich weit vor, um den Topflappenhandschuh zu greifen, schüttelte ihn aus, denn auch dort hatte schon mal eine gesessen, der tiefe Ekel, die Beine, dielangen Antennen an den Fingerspitzen gespürt zu haben. Dann war das Tier ihr über den Daumen gelaufen, die drahtigen Beinchen mit Widerborsten. Hatte sich fallen lassen, wie eine Katze, war auf den Füßen gelandet, hinter der gefliesten Kante der Arbeitsplatte verschwunden. Danach hatte Senta diese und jede nur erdenkliche Ritze im Haus, jeden noch so schmalen Spalt mit Silikon versiegeln lassen. An den darauffolgenden Tagen war Michaels Krankheit das erste Mal wie mit einem Schlagstock in ihren ruhigen, gleichförmigen Alltag gekracht.
    Etwas hastig stellte sie die Kanne auf das Holzbrett, das helle Holz war verziert mit schwarz gebrannten Ringen, wie eine Hornbrille, so schaute sie das Brett an. Aufgeregt wartete sie, bis der Kaffee sich beruhigt hatte, dann ging sie bewußt nicht in die Speisekammer, wo auch der Kühlschrank stand, weil die Speisekammer immer zuerst Feindesland wurde – wenn sie wiederkamen, eroberten sie diese Halbinsel zuerst –, sie ging zur alten Holzanrichte, um eine haltbare Milch herauszunehmen, und riß dem wabbeligen Karton eine der Klappspitzen ab. Auf die noch brennende Flamme stellte sie den Emailletopf, daß die Milch, als sie sie hineingoß, laut zischte. Dann richtete sie all ihre Konzentration darauf, mit dem Schneebesen Blasen in der Milch aufzuwerfen, den Griff zwischen den Handflächen, als plane sie mit einem Stock ein Feuer zu entfachen.
    Sie wollte ihm den Kaffee ans Bett bringen, ein paar beruhigende Worte mit ihm sprechen, ob er aufzustehen plane, wie er sich fühle – an all die Beschimpfungen, die sich erst gestern über sie ergossen hatten, wollte sie nicht denken. Vor allem an das eine, was er gesagt hatte. Daß er überzeugt sei, sie habe ihm immer nur etwas vorgespielt, geliebt, zumindest, geliebt habe sie ihn nicht. Er hatte diesen Ausspruch sicher schon längst wieder vergessen, das wußte sie bereits von anderen Malen, auch seine Schimpftiraden waren fürihn nicht mehr präsent, fast wie nie dagewesen, was sie – als sie das verstanden hatte – unendlich beruhigte. Er sollte von den Kakerlaken nichts mitbekommen, es würde ihn nur unnötig in Aufruhr bringen. Sie wußte schon, wie sie ihre Feinde bekämpfte. Sie würde sich um die Eindringlinge kümmern, ihre Küche verteidigen. Der Ort, an dem sie herrschte, seit sie hier wohnten und die Kinder in Internaten erzogen und betreut wurden, sie also sonst nichts hatte, was ihre

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