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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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andauernde und ständige Aufmerksamkeit forderte. Außer der Garten. Der war ein Ersatz, ein guter, beruhigender Ersatz. Komisch, dachte sie, während sie mit dem Topflappenhandschuh den Emailletopf anhob, die geschäumte Milch in einen Becher goß: Die Insekten draußen, die ekeln mich nicht. Wie oft huschte etwas Ähnliches wie eine Kakerlake, nur dicker, voluminöser, zwischen den Töpfen der Setzlinge hindurch. Das war ihr vollkommen egal. Nur hier im Haus, hier in der Küche, da konnte sie keinen Zentimeter Boden in Feindeshand übergehen lassen.
    Sie erschrak so, daß der Kaffee überschwappte. Jorge, der Nachbar, stand draußen, hinter dem Küchenfenster, eine Hand an die Stirn gelegt, die Augen, die Augenringe beschattet, nah am Glas. Sein Gesicht wirkte unrasiert, unter der Schiebermütze noch dunkler, dann klopfte er kraftvoll.
    Sie hielt ihren Kaffeebecher fest, der beschleunigte Herzschlag des Schrecks lähmte sie. Jorge ging ums Haus herum, öffnete die klapprige Küchentür in einem Schwung und sagte in seinem für sie immer wieder viel zu schnellen Spanisch: »Dürfte ich mir einen Augenblick Ihrer Zeit borgen?«
    Senta dachte sofort an Michael. Er hatte irgend etwas gemacht, den freundlichen, ihnen zugewandten Nachbarn angegriffen, seine alte Mutter, seine alte Tante, die alle drei zusammen in der dorfnahen Steinvilla wohnten. Sie holte schon Luft, um eine Entschuldigung zu formulieren, da verwunderte sie doch die ruhige Ratlosigkeit in Jorges Gesicht. Kein Ausdruck, den man nach einer Beschimpfung oder ähnlichem hatte.
    Don Jorge, wie er genannt wurde, in ausgebeulten Hosen und beigefarbenem Hemd, blieb vor der Tür stehen, sie ging auf ihn zu, er wich zurück, und so standen sie sich erst auf der Terrasse gegenüber. »Möchten Sie einen Kaffee?« Sentas Spanisch war nicht prächtig, aber sie hatte sich eingehört, sie konnte sogar die Alten verstehen, die die Enden schliffen und das Gurgelige des Katalanischen ins Spanische hinüberretteten. »Ach ja. Wozu die Eile. Die verfeindeten Seelen. Meine Mutter und meine Tante sind heute nacht gestorben. Seit dreißig Jahren haben sie kein Wort mehr miteinander geredet. So entzweit, daß die eine es noch nicht einmal schafft, die andere zu überleben.«
    Senta gab ihm die Hand zur Beileidsbekundung, sie wollte den großen und irgendwie auch dominanten Mann nicht umarmen. Ihr nachbarschaftliches Verhältnis zeichnete sich durch respektvolle Distanz aus, Senta hatte manchmal bemerkt, daß Jorge ihr die Nuance eines anderen Blicks zuwarf, den sie nur schmeichelhaft fand, wenn Michael nicht in der Nähe war.
    Dann reichte sie ihm den Kaffee, den sie für ihren Mann zubereitet hatte, und dachte darüber nach, ihn zu wecken, damit er später keinen Grund zu einem jähzornigen Ausbruch von Eifersucht haben konnte.
    »Mein Gott, beide zusammen. Das tut mir leid.«
    »Meine Mutter war siebenundneunzig, meine Tante neunundneunzig. Bis auf die Tatsache, daß sie es geschafft haben, so viele Jahre nicht mehr miteinander zu reden, würde ich ihre Leben als in Ordnung bezeichnen. Sie sind beide einfach entschlafen. Wie verabredet. Nur daß sie sich nicht haben verabreden können.«
    Senta und er tranken gleichzeitig.
    »Mit einer wären wir klargekommen, aber beide. Ich dachte, ich frage Sie.«
    Er schaute sie an, prüfend, mit schmalen, undefinierbaren letztendlich aber seltsam heiteren Lippen, als gäbe es im Tod hauptsächlich eine Dimension von Erleichterung, die aber nur der verstand, der zeitlebens unter dem Verstorbenen gelitten hatte.
    Die linke Seite in der alten Villa, das war Maria Conceptíon – Jorges Mutter –, die nur knapp zwei Jahre jünger war als ihre Schwester Maria Puríssima, die auf der rechten Seite des Hauses wohnte. Niemand konnte recht sagen, woran sich der Streit entzündet hatte, der die beiden Damen so entzweite, daß sie nicht mehr miteinander sprachen und das Haus nur verließen, wenn sie sicher sein konnten, der jeweils anderen nicht zu begegnen. Maria Puríssima, die alle Puri nannten, schickte in jedem Falle lieber ihr kolumbianisches Hausmädchen, die kleine Gabriella, die selbst zwei Töchter und zwei Enkeltöchter hatte, aber für Puri alles machte: Sie kaufte das harte, alte Brot beim Bäcker, das Puri nur noch aß, jeden Tag die eine Tomate dazu, das Olivenöl und den ganz bestimmten Knoblauch, auf den Puri schwor, sie bereitete das Pan amb Oli zu, wie Puri es mochte, sie saß bei ihr, wenn sie einen Cortado nach dem Essen

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