Das Glück der Zikaden
trank, machte den Fernseher an, wischte den Staub, der Tag für Tag auf die dunklen Holzanrichten und ausladenden Stühle mit kerzengeraden Lehnen fiel, sie feudelte den schwarz-weißen, durchgetretenen Fliesenboden, zupfte das Unkraut aus den Oleanderkübeln, schloß die Fensterläden am Abend. Gabriella ging auch ab und zu in den zweiten Stock, wo ehemals eine katholische Mädchenschule residiert hatte, um nachzuschauen, ob Jorge noch lebte. Er hatte sich noch nicht zu Tode gesoffen und war damit beschäftigt, seine epischen Gedichte an die Wände der vierhundert Quadratmeter großen Etage zu schreiben.
Bis zu ihrem Tode stand Puri noch jeden Tag auf, zog sich langsam und mit Bedacht an, so daß der Vormittag darüber verstrich, puderte sich dann erst unter den Achseln, um anschließend ein kaltes Fußbad und ein lauwarmes Bad für die Hände zu nehmen und sich den Hals mit Olivenöl einzureiben; war dann so weit gerichtet, daß ihr mit Hilfe von Gabriellas geschickten Händen das daunenfederige Haar zu Wellen gelegt werden konnte – worüber es Nachmittag wurde und die schlimmste Hitze überstanden war.
Puri, die Erstgeborene, schien von den beiden Schwestern die Würdenträgerin zu sein, die nie ihre strenge Selbstbeherrschung verlor. Als wache die Ältere mit Adlerblick nicht nur über jeden Vorgang im Haus, sondern erhalte Unterstützung auch noch durch weitere Informanten, so verließ Maria Conceptíon – Jorges Mutter – das Haus nur zu nächtlichen Stunden, schlich sich aus ihrer Tür, im Schutz der Dunkelheit, um gerade noch eine Tafel Schokolade, einen Weichkäse, Kamillentee und ein Roggenbrot zu kaufen. Maria Conceptíon lebte nachts, im Verborgenen, hinter ihren pflaumenfarbenen Samtvorhängen. Maria Conceptíon und Maria Puríssima starben so verstritten und verbunden, wie man es sonst von Ehepaaren kennt. Maria Puríssima schlief für immer in ihrem Bett ein, Maria Conceptíon auf einem staubigen Sessel zwischen ihren Volieren. Jorge bat Senta, auf Maria Conceptíon zu achten, während Gabriella drüben in der anderen Haushälfte bei Puri war. Er selbst wollte sich um das Behördliche kümmern.
Es war ihm ein Anliegen, das Senta auf eine seltsame Art berührte.
Er wollte die alten Damen auf keinen Fall allein im Bett und auf dem Sessel liegen wissen. Er wollte, daß sie in diesen Stunden des Übergangs Besuch hatten, er bat Senta, wenn es ihr nichts ausmache, ruhig mit seiner Mutter zu reden, über was auch immer, und Senta erwiderte nichts, denn sie warmit einem Mal gefangen in der Erinnerung an den Tod ihrer eigenen Mutter, mit der sie fast ununterbrochen geredet hatte, in dieser Zeit, die irgendwie zwischen allen Zeiten war.
Sie konnte neben der alten Dame, die Jorge mit Kissen auf ihrem Sessel abgestützt zu haben schien, nicht sitzen. Sie öffnete die Fenster, denn der Gestank des Guano in den Vogelkäfigen raubte ihr den Atem. Dann spürte sie die längst vergessenen, damals nicht geweinten Tränen, wollte aber hier nicht weinen, beherrschte sich durch einige Betriebsamkeit: Sie öffnete nach und nach alle Volieren. Die Kanarienvögel, Mönchssittiche, Papageien hüpften, stolperten und fielen aus den Käfigen, einige blieben leicht schaukelnd auf dem Boden sitzen, als säßen sie noch auf ihren quietschenden, von Maria Conceptíon selbst hergestellten Holzschaukeln.
Einige Vögel flogen später durchs Dorf, auch hinaus zu ihrem Grundstück, saßen noch Tage in den Kiefern oberhalb und auch im silbrigen Blattwerk der Oliven. Seither verband Senta mit den neongrün leuchtenden Sittichen, die angeblich mit den Bananendampfern aus Südamerika eingeschleppt worden waren, das Ende eines Menschenlebens. Ein tröstlicher Gedanke, fand sie, denn die Vögel schnatterten ununterbrochen, laut und knarrend, dann wieder hell und fast melodiös, alles in allem noch etwas ausdauernder als die Singzikaden.
Ein Fenster knallte im Luftzug, Senta ging zurück in das Zimmer, in dem die alte Dame lag, in dem Moment rutschte ein taubengraues Satintuch, das einen der Käfige bedeckt hatte, von den Stäben. Es glitt mit einer zum Hinschauen zwingenden Eleganz hinunter, als tanze es bewußtlos. Senta hob es auf, legte es über den Käfig und wartete, nur, um es noch einmal fallen zu sehen. Maria Conceptíon war ihr immer sympathischer gewesen als ihre Schwester, die beherrschte Puri, die nichts aus den Augen ließ, deren Strenge etwas Übermenschliches angenommen hatte, die nur eine verschreckte Schwester und
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