Das Glueck einer einzigen Nacht
großartig, in die er vor sechs Monaten geschlüpft war.
Niemand hätte in ihm mehr als den kleinen Buchhalter vermutet. Er schien einer unter vielen unwichtigen Angestellten der Bank zu sein. Sekundenlang trafen sich ihre Blicke, bis das Klicken von hohen Absätzen das Nahen der Sekretärin ankündigte.
„Ich habe ganz vergessen zu fragen, ob Sie Ihren Kaffee mit Milch und Zucker trinken“, sagte sie etwas zerstreut.
„Schwarz bitte“, erwiderte Barbara mechanisch und nahm den Pappbecher mit dem heißen Kaffee entgegen. Als die Sekretärin zögernd vor ihr stehenblieb und einen neugierigen Blick auf ihre Dokumente warf, fügte Barbara schroff hinzu:
„Wird Mr. Hershell noch lange brauchen?“ Dabei drehte sie demonstrativ die Papiere auf ihrem Schoß um.
Das dünne Lächeln der Sekretärin wurde noch sparsamer. Aber obwohl offensichtlich verärgert, wahrte sie die für ihre Position erforderliche Höflichkeit.
„Ich kann nachschauen, wenn Sie das wünschen“, gab sie kühl zurück.
„Tun Sie das bitte“, erwiderte Barbara knapp.
Während die Empfangsdame sich beleidigt hinter ihren Schreibtisch setzte, drehte Barbara ihre Papiere um und überflog noch einmal den für sie so wichtigen Inhalt. Dabei vergewisserte sie sich ständig, daß die Sekretärin auch in angemessener Entfernung blieb. Sie durfte das Risiko nicht eingehen, daß im letzten Moment irgendeine naseweise Angestellte Einblick in den vertraulichen Bericht erhielt, der so sorgfältig zusammengestellt worden war.
Während sie das Belastungsmaterial durchsah, dankte sie im stillen Steven Bishop für seine ausgezeichnete Arbeit. Lange und unermüdlich hatte er daran gearbeitet, ihr die Informationen zu beschaffen, die ihr jetzt, einen unbezahlbaren Vorteil sicherten. Steve war einer ihrer besten Mitarbeiter bei Hayden Petroleum. Er war nicht nur gewissenhaft, sondern auch außerordentlich gründlich. Wenn es irgendwelche Ungenauigkeiten bei der Handelsbank von Farretts Corner gab, dann würde Steve sie finden. Dessen war sie sicher gewesen. Und ihre Rechnung war aufgegangen. Jetzt, wo sie ihr Ziel erreicht hatten, mußte Barbara sich beherrschen, Steve nicht anerkennend zuzunicken.
„Mr. Hershell kann Sie jetzt empfangen.“ Die Sekretärin kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um die schweren Eichentüren zu Mason Hershells Büro zu öffnen.
Hastig schob Barbara ihre Papiere in den Aktenkoffer zurück und folgte ihr. In Hershells Büro schaute sie sich erstaunt um. Die pompöse, überladene Ausstattung wirkte etwas übertrieben. Mason Hershell höchstpersönlich, dachte sie belustigt, als sich die modisch gekleidete Gestalt hinter dem enormen Schreibtisch erhob.
„Es tut mir leid, daß ich Sie warten lassen mußte, Mrs. Hayden. Setzen Sie sich doch bitte.“ Mason Hershells Lächeln war ebenso dünn wie seine Entschuldigung.
„Das macht nichts, Mr. Hershell. Ich weiß, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann.
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mich doch so kurzfristig empfangen konnten.“ Barbara reichte der Sekretärin ihren halbvollen Pappbecher und entließ sie mit einem würdevollen Kopfnicken.
„Das ist im Moment alles, Miss Fergusson“, sagte Hershell zu seiner Sekretärin und wartete, bis sich die Frau mit einem respektlosen Türschlagen aus dem Raum entfernt hatte. „Nun, Mrs. Hayden…“ Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, und seine Stimme nahm einen geschäftsmäßigen Tonfall an. „In welcher Hinsicht können wir Ihnen zu Diensten sein?“ Abschätzend musterte er seine unerwartete Besucherin. Ihre Kleidung gefiel ihm. Sie war teuer und äußerst modisch. Alles an dieser Frau verriet ihren Reichtum – von dem weißen Leinenkostüm und den geschmackvollen Accessoires bis zu der Perlenkette und den schwarzen Pumps.
Barbara hatte in dem Besucherstuhl direkt vor Hershells Schreibtisch Platz genommen. „Ich möchte ein Geschäft abwickeln und wollte Sie dabei um Ihre Hilfe bitten“, erklärte sie, schlug verführerisch ihre langen, schlanken Beine übereinander und schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.
Mason Hershells Blick ruhte einen Moment auf ihren wohlgeformten Beinen. Er wußte nicht, was ihn mehr an ihr faszinierte. Ihre zweifelhafte Vergangenheit oder die Geldgeschäfte, die er vielleicht in Zukunft mit ihr machen könnte.
Schließlich siegte sein Geschäftssinn, und er blickte ihr erwartungsvoll ins Gesicht.
„Ich habe mich mit dem Aktienbesitz von Hayden Petroleum vertraut gemacht,
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