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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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Ausübung unserer freundschaftlichen Knuffeleien.
    Im Nachhinein kommt es mir so vor, als hätte ich Monate im Bett zugebracht, was nicht sein kann. Vielleicht waren es nur Tage, Wochen. An einem wunderschönen Junisamstag hoben mich die Pfleger in einen Bettstuhl auf Rollen, und meine Eltern schoben mich auf die Terrasse. Ich musste die Augen zusammenkneifen, geblendet von der Sonne und so glücklich. Endlich Luft. Endlich draußen. Allein der Weg über den Flur stimmte mich froh. Dass ich sehen konnte, was sich hinter dieser Tür befand, die ich so oft angestarrt hatte. Wann kommt das Essen? Wann kommt die Visite? Wann kommt Jasmin zurück? Ich beneidete sie, weil sie in ihrem Rollstuhl so selbständig unterwegs war.
    Wie schön es draußen war! Wie grün. Und wie es duftete. Vor Freude liefen mir die Tränen übers Gesicht. Auf der Terrasse befanden sich mehrere Bänke, und auf einer lag ein junger Mann mit unter dem Kopf verschränkten Armen. Er war ziemlich attraktiv mit seinem dichten dunklen Lockenkopf und dem muskulösen Oberkörper. Mit geschlossenen Augen genoss er die Sonne und sah dabei wunderschön aus. So leicht, so frei, so entspannt. Neben ihm parkte ein Rollstuhl. Ich konnte den Blick kaum von dem jungen Mann wenden. Ob ich das jemals schaffen würde? Mit dem Rollstuhl auf die Terrasse und mich sonnen? Völlig normal?

    Meine Eltern waren sehr lieb und fürsorglich. Sie besuchten mich, wann immer es ging, und schenkten mir zum Geburtstag im Juli einen tragbaren CD-Spieler, damit ich Musik hören konnte. Das Lied Sie sieht mich einfach nicht von Xavier Naidoo wurde zu einer Art Mantra für mich: »Man kann so vieles ändern, wenn man zu kämpfen bereit ist, aber nicht diese Ungerechtigkeit.«
    Das gab mir wieder Lebensmut, obwohl ich keine »Fußgängerin« mehr war. Das Wort hatte ich irgendwo im Krankenhaus aufgeschnappt. Früher hätte ich als Gegenteil zu Rollstuhl »normal« gesagt. Nun lernte ich, dass die Normalen, also die Gehenden, als Fußgänger bezeichnet werden. Ich selbst war keine Fußgängerin mehr, aber auch noch keine Rollstuhlfahrerin. Ich war eine Bettliegerin. Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
    »Wann darf ich endlich in den Rollstuhl?«, nervte ich die Ärzte. Einmal hörte ich mich selbst reden, als wäre ich eine andere. Darf. Wann darf ich in den Rollstuhl! Genau, darum ging es jetzt. Ich wollte selbst entscheiden, wohin ich ging … fuhr? Aber ich musste warten. Noch immer war ich gefesselt. Der längste Schlauch steckte in meinem Hals, und als er mir gezogen wurde, fragte ich mich, wo sich das Ende dieser 15 Zentimeter befunden hatte.
    Den Dauerkatheter war ich zum Glück schon eine Weile los und wurde nun bei Bedarf im Bett katheterisiert. Das hatte ich bei Jasmin mitbekommen, und was ich am Anfang entsetzlich gefunden hatte, war nun gar nicht mehr schlimm. Vor allem, weil ich das dank meiner beweglichen Finger im Gegensatz zu Jasmin später selbst würde bewerkstelligen können.
    Die im Krankenhaus verwendeten Katheter sind lange Röhrchen, die aus sterilen Verpackungen herausgezogen und in die Harnröhre geschoben werden. Sobald ein Katheter steckt, fließt der Urin. Wenn nichts mehr kommt, wird er entfernt und entsorgt. Mit dieser Methode erleichtern sich viele Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Der Vorteil daran ist: Zur Not und mit einem Plastikbeutel kann man es überall erledigen. Wenn man den Dreh einmal raus hat, »läuft« es wie von selbst. Auf der Toilette benötige ich heute kaum länger als Fußgänger. Müsste ich mich danach nicht wieder anziehen – das Problem ist, sitzend in die Hose zu schlüpfen –, wäre ich genauso schnell.
    Männer haben es, was die Hose betrifft, zwar leichter, weil sie nur den Reißverschluss zu öffnen brauchen. Doch bei Frauen ist die Harnröhre kürzer, und deswegen benötigen wir auch nur angenehm kurze Katheter. Es gibt welche, die sehen in ihrer diskreten Verpackung aus wie Wimperntusche oder Kugelschreiber. Mein Sohn Tim ist daran gewöhnt, dass Mama das braucht, wenn sie zur Toilette geht. Kürzlich brachte er einer Bekannten, die ankündigte »Ich muss mal wohin«, ganz kavaliermäßig einen meiner Katheter, die übrigens nicht ganz billig sind. Einmal Pipi machen kostet circa 2,50 Euro.

Ohne Befund
    Meine Eltern hatten mir mitgeteilt, dass sie in die Spezialklinik fahren wollten, um mit dem Chefarzt zu sprechen, der mich operiert hatte. Auf den Termin mit ihm mussten sie eine Weile warten. In der

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