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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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dem Schlaf hochschrecken. Es klang gedämpft. Eine ältere Frau mit grauem Haar strich mir fast verstohlen über die Backe, ihre Hände waren warm und weich, ehe sie damit begann, mich zu waschen. Sie sagte kein Wort dabei, und ich sagte auch nichts, ich staunte eher und schämte mich gleichzeitig. Aber da war so viel Mitgefühl in ihren Bewegungen, dass es irgendwie nicht so schlimm war, obwohl es grauenhaft war. Sie wusch mich wie ein hilfloses Baby. Überall. Natürlich merkte ich, dass ich meine Beine nicht spürte. Auch den Bauch spürte ich nicht und den Po, die Hüften. Nur diesen unangenehmen Druck um den Brustkorb. Ich verstand das alles nicht, hatte aber auch kein Bedürfnis nachzufragen. Vielleicht war ich noch einmal tief hineingefahren in die Nebelbänke, weit hinter den Leuchtturm, und wenn, dann war das gut so: Gnadennebel.
    Neben mir stöhnte und schnaufte es weiter, und ich überlegte, wer da wohl liegen mochte. Rechts ein Mann und links eine Frau, beschloss ich. Es war seltsam, diesen fremden Menschen so nah zu sein, ihren Geräuschen und ihrem Schmerz. Ich wollte heim zu Andi und ins Fitnessstudio. Wir hatten ausgemacht, mindestens dreimal wöchentlich zu trainieren. Wenn ich so lange aussetzte, würde er einen Konditionsvorsprung kriegen.

    Irgendwann stand ein älterer, auf den ersten Blick sympathischer Arzt an meinem Bett, der mit ruhiger Stimme freundlich mit mir sprach. Er fragte mich, wie ich geschlafen habe, und ich erzählte ihm von meinen Fingerspielen.
    »Ich sehe schon. Sie gehören nicht hierher. Ich lasse Sie jetzt mal auf eine andere Station bringen.«
    Das freute mich. Endlich weg aus der Umklammerung der beängstigenden Geräusche. Leider dauerte es dann noch gefühlte hundert Stunden, bis mein Bett durch lange Gänge in einen Aufzug geschoben wurde. Ich sah nach wie vor alles verschwommen. Die Aufzugtüren öffneten sich, ein Rollstuhl mit einem blonden, jungen, hübschen Mädchen stand davor.
    »Hallo!«, lächelte mich das Mädchen fröhlich an, während mein Bett an ihr vorbeigeschoben wurde.
    Ich erwiderte den Gruß und dachte: Scheint ja gar nicht so schlimm zu sein, im Rollstuhl zu sitzen.

Mein Leben auf Rädern
    I ch erinnere mich nicht, wer mir mehr oder weniger schonend beibrachte, dass sich mein Leben gravierend verändert hatte. Ich bin ziemlich gut im Verdrängen und froh, dass ich manches vergessen habe.

    Am Freitag brachte Andi mir meine persönlichen Sachen aus der Spezialklinik. Leider hatte sein Chef kein Verständnis für seine Situation und die Bitte, zwei, drei Tage freizubekommen. Später erzählte er mir, dass er in der Spezialklinik zufällig die 50-jährige Frau getroffen habe, die eine Weile meine Zimmernachbarin war. Sie fragte nach mir. Andi erzählte ihr von meiner Querschnittslähmung.
    »Als ich das Wort zum ersten Mal aussprach, ist mir klargeworden, dass das überhaupt nichts ist, was man einmal sagt und kapiert. Das kriegt man nicht in den Kopf rein. Das muss man öfter sagen. Immer wieder. Und vielleicht versteht man es trotzdem nie. Nicht doch die Ines! Meine Freundin doch nicht!«
    Andi war bei mir, als der Oberarzt auf die Station zur Visite kam. Er reichte uns beiden die Hand, das fand ich ungewöhnlich. Normalerweise kriegt man im Krankenhaus keine Hand geschüttelt, sondern in die Hand gestochen. Der Arzt war lang und dünn. Das einzig Runde an ihm war seine Nickelbrille, mit der er mich an einen Studenten erinnerte.
    »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche zuerst?«, fragte er knapp, doch seine Stimme klang nicht eilig, sondern mitfühlend.
    Ich wechselte einen Blick mit Andi.
    »Die schlechte«, sagte ich dann.
    »Ich fang mal mit der guten an«, widersprach der Arzt.
    Andi nickte zustimmend.
    »Sie sind jetzt zwar querschnittsgelähmt, doch innerhalb der nächsten drei Monate ist noch alles drin. Es besteht eine reelle Chance, dass wieder Leben in die Beine kommt. Ihr Rückenmark wurde gequetscht, nicht durchtrennt.«
    »Kann ich irgendwas tun, um die Heilung zu beschleunigen?«, wollte ich wissen.
    »Abwarten«, sagte der Arzt.
    »Und die schlechte Nachricht?«, fragte Andi.
    »Abwarten«, sagte ich.
    Der Arzt lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. »Nach diesen ersten drei Monaten wird es immer unwahrscheinlicher, dass sich die Situation verbessert. Im schlimmsten Fall bleibt die Lähmung so, wie sie jetzt ist.«

    Am Wochenende besuchten mich meine Eltern. Meine Mutter zog gleich nach der Begrüßung eine

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