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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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doch wenn ich sie anschaute, lagen sie wie zwei junge Baumstämme unter der Decke. Das Ausmaß meiner Situation war mir überhaupt nicht bewusst. Vielleicht dachte ich, es sei vorübergehend. Beunruhigender fand ich das komische Gefühl in meiner Brust. Es war, als hätte mir jemand einen Gürtel umgebunden, zwei Fingerbreit unterhalb der Stelle, wo der BH sitzt, dort, wo man auch einen Pulsmesser anlegt. Dieser Gürtel war viel zu eng geschnürt. Er drückte mir zwar nicht die Luft ab, aber das Atmen war beschwerlich. Dieses Gefühl der Einschränkung und Enge, dieser permanente Druck störte mich sehr. Immer wieder fasste ich an die Stelle. Da war nichts. Das irritierte mich total. Dass da nichts war, aber so deutlich, und es trotzdem nicht verschwand.

Fingerspiele
    Die Nacht von Donnerstag auf Freitag war die schlimmste meines Lebens. Irgendwann in der Dunkelheit wachte ich auf. Der Nebel hatte sich zurückgezogen. Ich fühlte mich fit und klar. Draußen vor den Fenstern tobte ein Sturm. Vielleicht hatte er den Nebel fortgeblasen. Es jaulte und säuselte und ächzte. Es dauerte eine Weile, bis ich dieses Heulen und Röcheln zuordnen konnte. Der Wind blies rechts und links neben mir. Schnaufte. Grunzte.
    Ich drehte meinen Kopf nach rechts und links, konnte jedoch nichts erkennen außer einer weißen, mit Stoff bezogenen Trennwand. So lag ich putzmunter in einem Meer von Geräuschen. Manchmal piepste es. Dann brach ein Schnaufen ab, um bald darauf grausig röchelnd erneut einzusetzen. Ich war wach und ausgeschlafen wie noch nie in meinem Leben. Ich hatte stunden-, ja, tagelang geschlafen. »Los, schlaf jetzt, bald wird es hell«, befahl ich mir selbst. Doch es ging nicht. Ein Schäfchen, zwei Schäfchen, drei. Es funktionierte nicht.
    Wie spät war es überhaupt? Ich schaute auf das komische grüne Bild über mir und versuchte, etwas zu erkennen. Alles verschwommen. Ich kniff die Augen zusammen. Schäfchen? Eins, zwei, drei. Nein. Bäume? Ach, ich könnte einen ganzen Wald ausreißen. Wie lange dauert eine Minute? Warum kam niemand? Wie lange zog sich diese Nacht denn noch hin? Und immer das Geschnaufe und Gestöhne und Geschnarche. Geräusche, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Ich hatte keinen Unfall hinter mir, bei dem meine Knochen gebrochen waren, ich war nicht verletzt oder krank, ich war nur operiert und ansonsten fit. Und jung. Noch keine zwanzig.

    An meinem Zeigefinger befand sich ein Clip. Später erfuhr ich, dass er die Sauerstoffsättigung meines Blutes maß. Ich nahm ihn ab. Knipste ein paar Mal durch die Luft. Legte ihn wieder an. Nahm ihn wieder ab. Setzte ihn auf den Mittelfinger, wackelte damit, probierte alle Finger durch. Mal langsam, mal schnell, rechte Hand, linke Hand … Zehen. Da tauchte der Gedanke auf. Huschte um die Ecke und weg war er. Wieder zurück an den Zeigefinger. An und ab und an und ab und an und ab. Plötzlich ging ein Alarm los, und eine weißgekleidete Gestalt erschien an meinem Bett. Sie nahm mir den Clip aus der Hand und befestigte ihn ordnungsgemäß an meinem Zeigefinger.
    »Das sollen Sie nicht machen!«, sagte der Pfleger ein klein wenig genervt.
    »Mir ist so langweilig.«
    »Versuchen Sie zu schlafen.«
    »Ich kann nicht.«
    »Versuchen Sie es trotzdem.«
    »Wie spät ist es?«
    »Halb zwei.«
    »Kann ich was zum Einschlafen haben?«
    »Ich bring Ihnen was.«

    Er brachte nichts, und ich spielte weiter. An und ab und an und ab und an und ab. Immer länger dehnte ich die Pausen aus und versuchte herauszufinden, wann der Alarm losgehen würde. Ringfinger, Mittelfinger, Daumen. Zehn Zehen hat der Mensch. Wie hießen die eigentlich genau? Großer Zeh …, Daumen, Zeigefinger, Pause, bis drei zählen, Mittelfinger, Ringfinger, bis fünf …
    »Sie sollen doch nicht damit spielen!«
    »Ich bin noch immer wach.«
    »Ja, meinetwegen, aber lassen Sie die Finger von … äh, von Ihren Fingern.«
    »Mir ist so langweilig!«
    »Ich bringe Ihnen was zum Einschlafen.«
    Brachte er mir was? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht ruderte mich das Geschnaufe und Gestöhne dann doch auf die Insel des Schlafes, vielleicht auch nicht, denn ich bemerkte den ersten gräulichen Streifen Morgendämmerung, der sich durch ein Oberlicht schob. Und dann erwachte die Station. Stimmen. Schranktüren. Fußgetrappel. Quietschen. Die erste Schwester. »Guten Morgen!«
    Es klang nicht so, wie Krankenschwestern in manchen Serien auftreten, wenn sie fröhlich Türen aufreißen und Patienten aus

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