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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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wiederholte ich fassungslos. »Das ist mehr als doppelt so lange, wie ich bisher auf der Welt bin! So viel hätte ich noch gutgehabt!«
    Tränen schossen mir in die Augen. Bis 40! Da hätte ich fünf Kinder in die Welt setzen können, ein Studium abschließen, reisen, einmal um die Erde rennen, Millionen von Treppenstufen runterspringen und tanzen, tanzen, tanzen.
    »Bitte, Frau Korb, das ist meine persönliche Einschätzung.«
    Ich riss mich zusammen. »Danke für Ihre Offenheit«, sagte ich.
    »Das heißt, wenn sie sich nicht hätte operieren lassen, dann würde sie nicht hier liegen?«, fasste Andi zusammen.
    »Äh, ja. Also nein. Ich meine, wer kann das sagen?«
    »Ist schon gut, Andi«, besänftigte ich ihn.
    »Nichts ist schon gut!«, rief er und stellte den Stuhl wieder auf die Beine, wobei er mehr Krach machte als beim Umfallen.
    »Ich bin selbst daran schuld. Ich wollte das Gesundheitszeugnis. Es hat mich niemand gezwungen«, erinnerte ich ihn.
    »Und was wäre dann passiert, mit 40?«, wollte Andi von dem Arzt wissen.
    »Bitte, das wissen wir doch nicht!«
    »Was wäre wahrscheinlich passiert?«, fragte Andi. Seine Stimme klang bitter.
    »Ihre Freundin hätte vielleicht irgendwann Schmerzen bekommen, man hätte den Tumor gefunden und dann operiert. Vielleicht hätte man ihn auch gefunden, weil sie wegen einer chronischen Bronchitis oder einer anderen bevorstehenden Operation wie beispielsweise einer Gallen-OP an der Lunge geröntgt worden wäre – das macht man manchmal. Oder auch nicht. Verstehen Sie: Ich kann Ihnen unmöglich einen alternativen Verlauf darstellen.«
    Andis Wangenmuskeln malmten. »Ja«, nickte er schließlich, »wir wissen gar nichts.« Er griff nach meiner Hand.
    »Ich bedaure das Ganze unendlich«, sagte der Arzt, holte tief Luft, als wollte er noch etwas sagen, was ihm aber wohl in der Kehle stecken blieb. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer. Im Nachhinein tat er mir leid, denn er hatte immerhin die Größe, mich zu besuchen, obwohl er nicht verantwortlich war. Dennoch – er konnte mir nicht helfen. Niemand konnte mir helfen, wie mir nach und nach klarwurde. Meine Beine reagierten nicht. Sie blieben stumm wie meine Füße und Zehen, wie mein gesamter Körper unterhalb des eng geschnürten Gürtels. Der allerdings war eines Morgens wie von Zauberhand um ein Loch gelockert.

Die Postbotin
    Als mir meine Lieblingskrankenschwester verriet, dass ich am nächsten Tag das erste Mal im Rollstuhl sitzen dürfte, glaubte ich, vor Aufregung kein Auge zuzutun. Das war natürlich Einbildung. Ich schlief wie immer hervorragend.
    Im Krankenhaus kümmerte sich der technische Dienst um die Wartung der Rollstühle. Ein Rollstuhl soll schließlich keinen Platten haben! Nun, platt war er nicht … Dennoch zog mein erstes Gefährt allerhand Spott auf sich. Es war nämlich gelb lackiert, so dass es nicht mehr hieß »Hallo Ines!«, sondern »Die Post kommt!«. Noch kannte ich mich nicht mit Rollstühlen aus, doch dass dieses Teil kein Cabrio, sondern eher ein Traktor war, begriff auch ich. Alles egal! Es war herrlich, nach einer halben Ewigkeit im Bett mit meinen Händen die Greifreifen zu betätigen und hinzufahren, wohin ich wollte. Ich rollte im Zimmer herum, die Gänge auf und ab, Schlangenlinien und Kreise. Ich hätte jauchzen können vor Freude. »Wo wirft man denn hier bitte die Post ein?«
    Es fiel mir leicht, den Rollstuhl zu lenken. Wenn ich nach links wollte, schob ich rechts stärker, und wenn ich nach rechts wollte, links stärker. »Wird der Kasten regelmäßig geleert?«

    Das Highlight meiner Tage waren bislang die Besuche der Krankengymnastin gewesen, die morgens und abends meine Beine bewegte. Sie beugte und streckte die Füße und Beine, drehte sie nach außen und innen, um die Muskulatur zu lockern und einer Sehnenverkürzung vorzubeugen. Ich genoss diese Behandlungen sehr. Weniger angenehm waren die täglichen Thrombosespritzen. Hier spürte ich zum ersten Mal einen Vorteil meines Gelähmtseins beziehungsweise ich spürte nicht und irgendwie doch. Ich wollte die Thrombosespritzen immer in den rechten Oberschenkel, da meine Sensibilität dort geringer ist. Ich vermute, dies liegt daran, dass das Blut quer gelaufen ist. Ich bin nicht querschnittsgelähmt, sondern eher schräggelähmt. Eine Rollstuhlfahrerin, die vor ihrem Motorradunfall unter schrecklichen Menstruationskrämpfen gelitten hatte, vertraute mir an, dass sie einmal im Monat manchmal fast ein wenig Erleichterung

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