Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
rundum nett. Viel zu unkompliziert für mich.
Wie immer brachte Ringo Blumen mit. Irgendjemand in Freiberg hatte ihm meine Adresse gegeben und von meinem »Unfall« erzählt. Ringo war öfter dort, da er seine Oma gern besuchte. Er selbst lebte in Westdeutschland. Nie hatte er meinen Geburtstag vergessen und auch sonst hin und wieder ein Päckchen geschickt – eine CD, ein Buch, Pralinen. Viele Jahre lang seufzte meine Mutter bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten: »Warum du den Ringo nicht genommen hast, verstehe ich bis heute nicht!«
Manu verstand es schon, obwohl sie Ringo optisch ziemlich ansprechend fand. Er war einfach zu nett. Doch diesmal war er meine Rettung. Er klingelte gegen Mittag, traf mich verzweifelt an, drückte mich fest an sich, verschaffte sich einen Überblick über die Situation, bat um einen Zollstock, Bleistift und Papier, verschwand für zwei Stunden, kehrte zurück mit allerhand Baumaterial, und am Nachmittag war die provisorische Rampe vor dem Haus fertig. Ringo blieb über Nacht, fuhr am nächsten Tag, und ich hatte nicht nur eine wunderbare Lektion zum Thema Freundschaft bekommen, sondern auch die Gewissheit, dass selbst eine Frau im Rollstuhl Herzen brechen kann.
Erste Hilfe
Da meine Eltern keinen Urlaub erhielten, kamen meine Großeltern zur Ersten Hilfe nach Weidenberg. Zwei Wochen wollten sie bei mir bleiben und mich für den Alltag fit machen, damit ich in der Wohnung alleine zurechtkam. Meine liebe Oma nahm mich in eine harte Haushaltsschule. Opa war als Berater tätig und überraschte uns mit konstruktiven Vorschlägen. Die Probleme lauerten überall. Jetzt konnte ich zwar das Haus verlassen, wenn auch unter großer Anstrengung, da die Rampe zu steil war, doch wenn ich wieder mit großer Anstrengung zurück in der Wohnung war, zog ich eine Dreckspur hinter mir her.
»Ich kann die Räder doch nicht vor der Tür ausziehen!«, rief ich, als Oma kopfschüttelnd das Schlamassel betrachtete.
»Kannst du sie vielleicht abwischen?«, fragte Opa.
»Nein, kann sie nicht, wie soll das denn gehen!«, widersprach Oma. »Aber feudeln kann sie auch nicht. Da fällt sie uns doch vorne über.«
»Da müssen wir was erfinden, damit sie sich festhalten und gleichzeitig wischen kann. Da gibt es doch solche Systeme, da muss man sich gar nicht bücken, wenn man den Lappen ausdrückt.«
»Ja, ja, aber da brauchst du einen Fuß, mit dem du dich auf den Schrubber stellst«, gab Oma zu bedenken.
»Vielleicht gibt es auch ein System, wo man mit dem Stil draufdrückt?«, überlegte ich laut.
»Das bring ich in Erfahrung. Bin schon auf dem Weg!«
Opa zog los, Oma schälte einen Apfel und stellte ihn mir auf einem Teller in kleinen Schnitzen auf den Schoß. Genau wie früher. »Lass es dir schmecken, Ines.«
Es fehlte nur noch, dass sie mich in die Wanne steckte wie sonntags, als meine Eltern noch keine Wanne in ihrer Wohnung hatten. Meistens kam meine Cousine Nicole mit mir zusammen dran. Das Badewasser war so heiß, dass der Spiegel beschlug – lange vor dem Baden wurde es mit Kohlen aufgeheizt. Oma meinte es immer besonders gut, und wir durften auf keinen Fall am Hahn herumspielen, sonst hätten wir uns womöglich verbrüht. Im Wohnzimmer stand damals ein grüner Kachelofen, Küche und Schlafzimmer waren im Winter eiskalt. Ich war trotzdem sehr gern bei meiner Oma, denn vor ihrer Wohnung gab es einen tollen Spielplatz, und außerdem war Nicole oft da. Mit ihr veranstaltete ich allerhand Quatsch. Einmal schraubten wir den Tisch bei meiner Tante auseinander und kriegten ihn dann nicht mehr ordentlich zusammen, auch die Erwachsenen nicht. Der Tisch quietscht und wackelt heute noch.
Bei Oma lernte ich nun auch, aus dem Rollstuhl heraus zu putzen.
»Nur für das Gröbste«, tröstete mich mein Opa. »Damit wir sicher sein können, dass du allein zurechtkommst.«
Der schwere Wassereimer, immer die Gefahr, vornüberzukippen, meine Großeltern mit kummervollen Gesichtern und schließlich die Freisprechung meiner Oma: »Der Boden muss ja nicht wie geleckt aussehen.«
»Das geht auch gar nicht. Es ist immer ein wenig Schmutz an den Rädern vom Rollstuhl, Ines kann ihre Straßenschuhe ja nie ausziehen«, stimmte mein Opa zu.
Oma stemmte die Hände in die Seiten und nickte. Ich atmete auf. Wenn sie das jetzt noch meiner Mutter beibrachten, die eine superperfekte Hausfrau war, und von der ich mir wünschte, dass sie stolz auf mich wäre, konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen! Ich
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