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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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aber dafür war ich dankbar: zwei Rollstühle, den für draußen und den zum Duschen, Badewannenlifter, Katheter, Pflegebett, sehr bequem mit höhenverstellbarem Lattenrost. In den meisten Ländern wird gelähmten Menschen nicht mal ein Rollstuhl zur Verfügung gestellt. Sie müssen alleine sehen, wo sie bleiben.
    In Deutschland finanziert das Arbeitsamt Berufstätigen einen Teil der Anschaffungskosten eines Fahrzeugs sowie den Behindertenumbau inklusive Ladeboy, wenn nötig. Beim Training im Krankenhaus hatte ich nicht damit gerechnet, dass mich das Rollstuhlverladen langfristig so anstrengen würde, ich hatte gedacht, das sei alles eine Frage der Technik, sonst hätte ich schon bei meinem ersten Umbau einen Ladeboy bestellt.
    Es gibt verschiedene Varianten, den Rollstuhl im Auto zu verstauen. Er kann in einer Box auf dem Autodach transportiert werden oder im Kofferraum, wozu ein langer Arm ausgefahren wird, der den Rollstuhl verlädt. Doch diese Prozedur dauert ewig, und es macht »Piep-piep-piep!«, weshalb auch wirklich jeder gucken muss, was da los ist. Dann stehen die Leute womöglich um einen rum und fragen vielleicht auch noch – nein danke! Lieber unauffällig und schnell weg.

    Ich litt immer stärker unter dem Gefühl des Eingesperrtseins. Es war mir klar, dass mich niemand einsperrte, dass ich selbst für diesen Missmut verantwortlich war, doch ich konnte ihn leider nicht abstellen. Oder doch – ein bisschen. Ich versuchte, es mir zu Hause gemütlich zu machen. Ich fing zu malen an, in Öl. Das machte mir große Freude, und dazu bleibt man ja auch gern im Haus. Ich unternahm lange Spaziergänge mit Markus und Marcky, das war auch schön, doch ich war eben nicht so selbständig, wie ich das gerne gewesen wäre.
    Wir verabredeten uns mit Freunden von Markus und gingen am Wochenende aus. Ich selbst hatte noch keinen eigenen Freundeskreis, was wiederum auch an der Barriere vor unserem Haus lag. Um Leute kennenzulernen, muss man sich unters Volk mischen. Markus störte es nicht, dass ich so wenig eigene Aktivitäten entwickelte. Es fiel ihm vielleicht nicht mal auf. Aber ich brauche das Gefühl der Freiheit. Ich muss raus können. Das ist enorm wichtig für mich. Es geht um die Möglichkeit. Ob ich sie in Anspruch nehme oder nicht, bestehen muss sie – und ich möchte selbst darüber bestimmen, wann ich diese Möglichkeit nutze. Nicht, wenn jemand anders mich mitnimmt, die Rampe runterfährt, den Rollstuhl verlädt. Wann ich will.

Das dunkle Zimmer
    Meine Mutter hatte schon oft davon gesprochen, dass sie sich um eine Schadenersatzforderung kümmern wollte. Ich sagte stets: »Ja, Mutti. Mach das. Danke. Dann muss ich mich nicht damit beschäftigen.«
    Und meine Mutter machte. Eines Tages kam ein Schreiben von der Versicherung des Krankenhauses mit einem ersten Angebot, einer kleinen Vorauszahlung, immerhin fünfstellig.
    »Das wird mir zu heiß«, sagte meine Mutter. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo du einen Anwalt einschalten solltest. Wir dürfen keine Fehler machen. Stell dir vor, wir nehmen das Angebot an und fallen auf einen Trick herein, wodurch wir auf alle weiteren Ansprüche verzichten. So was machen die gern. Die haben keine realistische Vorstellung, welche Sonderausgaben eine Rollstuhlfahrerin hat. Nein, nein. Jetzt muss ein Anwalt her.«
    Ich recherchierte nach einem im Patientenrecht erfahrenen Anwalt. Mit Markus fuhr ich zum ersten Termin. Gut, dass er dabei war, wie wir vor der Kanzlei erkannten. Markus musste von nun an immer mit, um mich die Stufen zum Büro des Anwalts hochzutragen.
    Der Anwalt war klein und rundlich, Mitte fünfzig, und wirkte sehr kompetent, obwohl er wenig sprach. Ständig putzte er seine Brille, als würde ihm das beim Denken helfen. Komischerweise war die Brille nie wirklich sauber, bei jedem Putzen hinterließ er einen neuen Fingerabdruck und begann bald wieder von vorne.
    »Was erhoffen Sie sich?«, fragte er beim ersten Termin, an dem er so viel sprach wie sonst nie mehr.
    »Ich wünsche mir eine Entschädigung, die es mir ermöglicht, ein rollstuhlgerechtes Häuschen zu bauen. Ich will nicht ständig umziehen, und nirgends passt es wirklich. Ich möchte endlich wieder selbständig sein. Ebenerdig wohnen, ohne Rampe. Und es soll schnell gehen!«
    Der Anwalt sagte bedächtig: »Da wird kein Häuschen herausspringen. Es wird schon ein anständiges Haus werden.«
    Er behielt recht. Leider dauerte die Angelegenheit mehrere Jahre, und das belastete mich sehr.

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