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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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Ich hätte das alles gern rasch hinter mir gelassen, doch es zog sich. Ewig. Der Anwalt schrieb einen Brief. Nach einem gefühlten halben Jahr antwortete die Versicherung. Der Anwalt bat mich zum Gespräch. Markus trug mich hoch. Der Anwalt sagte zwei, drei Sätze, putzte seine Brille. Dann trug Markus mich wieder runter, und ich heulte, bis wir zu Hause waren, und manchmal noch länger.
    Wir verhandelten nicht mit dem Krankenhaus, sondern mit der Versicherung, und die wollte, das liegt in der Natur der Sache, nicht zahlen. Ihre Angebote deckten nicht mal die Kosten, und mein Fall war so kompliziert, dass der Anwalt sehr lange für seine Erwiderung brauchte. Er machte seine Arbeit hoch professionell, doch die Dauer der Verhandlungen ging mir an die Substanz. Manchmal konnte ich an keinen guten Ausgang für uns glauben. Zu Markus sagte ich: »Nie im Leben wird das was. Entweder sterb ich vorher, weil sich das so endlos hinzieht, oder ich brech es ab, weil ich nicht mehr kann.«
    Markus sagte nichts dazu. Wann immer ich verzweifelte, hüllte er sich in Schweigen.

    Mit jedem Termin und jedem Brief, mit jedem Anruf des Anwalts war für mich alles wieder präsent. Als würde jemand einen Schalter anknipsen und all das in grelles Licht stellen, woran ich mich nicht erinnern wollte. Wie ich von einem Springinsfeld zur Rollstuhlfahrerin geworden war. Alles war so gegenwärtig, als würde es eben erst geschehen. Solange die Verhandlungen nicht abgeschlossen waren, konnte ich das Zimmer dieser Vergangenheit nicht abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Immer wieder musste ich hinein, eine Frage beantworten, einen Befund suchen. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, und für diese Ungerechtigkeit wollte ich eine Entschädigung.
    Meine Gedanken kreisten um den Chefarzt, der es nicht mal für nötig befunden hatte, mich im Krankenhaus in Bayreuth zu besuchen. Der gut gemeinte Besuch seines zerknirschten Assistenten war für mich keine Wiedergutmachung. Ich saß im Rollstuhl und musste damit leben, und die Versicherung versteckte sich hinter irgendwelchen Paragraphen, und der Chefarzt operierte fröhlich weiter und dachte wahrscheinlich gar nicht an mich. Er sollte von der Versicherung und der Krankenhausverwaltung eins auf den Deckel kriegen. Er sollte hin und wieder an seinen Fehler erinnert werden, so wie ich täglich, stündlich daran erinnert wurde. Bei jedem Zur-Toilette-Gehen. Bei jedem Das-Haus-verlassen-Wollen. Bei vielen Handgriffen und bei meiner kompletten Lebensplanung, die nicht mehr davon bestimmt wurde, was ich wollte, sondern davon, was überhaupt möglich war … gelähmt von der Brust abwärts.

    Markus ärgerte sich auch über die Hinhaltetaktik der Versicherung, doch er sagte nicht viel dazu, und wenn ich weinte, schwieg er ohnehin. Also weinte ich nicht mehr. Bringt doch nichts. Letztlich sollte es vier Jahr dauern, bis ein Vergleich zustande kam. Der Anwalt behielt recht. Es sprang kein Häuschen dabei raus, sondern ein wunderschönes rollstuhlgerechtes Haus mit Garten.

Von der Reha ins Wirtschaftsministerium
    2001 nahm ich zum ersten Mal eine Reha in Anspruch, und zwar ambulant. Morgens fuhr ich eine gute halbe Stunde nach Illingen, ließ mich den ganzen Tag verwöhnen und fuhr abends wieder zurück. Na gut, ich musste zwischendurch auch viel warten auf Massagen, Krankengymnastik, Krafttraining und andere Anwendungen – unterbrochen von einem leckeren Mittagessen. Dennoch genoss ich diese Reha sehr. Endlich mal ein geregelter Tagesablauf! Bei der Reha gab es weder Schichtdienst noch Überstunden. Ich hatte sogar einen Anwärter zum Kurschatten. Er war schon ein wenig älter, und seine Glatze erinnerte mich an Meister Proper. Der Chef vom Restaurant mochte mich auch gut leiden, brachte mir oft Erdbeeren und lud mich zu Champagner ein. Das gefiel mir alles recht gut.
    Eigentlich sollte diese schöne Zeit bloß drei Wochen dauern. Letztlich dauerte sie zweieinhalb Monate, und daran war ich nicht ganz unschuldig. Ich wollte nicht mehr ins Hotel zurück, nachdem es dort kurz vor meiner Reha eine unschöne Szene mit meinem Chef gegeben hatte.
    Wegen der Schichtdienste sah ich meine Familie nur selten. Als endlich ein Besuch meiner Eltern anstand, bat ich lange im Voraus, an diesem Wochenende freizubekommen, was auch genehmigt wurde. Am Samstagmorgen, wir schliefen alle noch, klingelte das Telefon. Am liebsten hätte ich es weiterklingeln lassen, doch ich wollte meine Eltern nicht wecken und nahm das

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