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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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stehen.
    »Können Sie mir bitte helfen?«, rief ich.
    Manu riss die Augen auf und starrte auf den Bizeps des Mannes, der das enge T-Shirt zu sprengen schien. Dann grinste sie auch.
    »Wo brennt’s?«, fragte der Mann.
    »Leider ist mein Auto zugeparkt. Ich komme mit dem Rollstuhl nicht an die Fahrertür. Ob Sie mich vielleicht zum Auto tragen und reinsetzen könnten?«
    Er überlegte kurz, zwinkerte mir dann zu: »Ist mir ein Vergnügen.«
    Manu flitzte los, die Fahrertür aufzusperren.
    Er packte mich. Ich lag in seinem angenehm festen Griff und kam mir dabei vor wie eine Braut, die über die Schwelle getragen wird. Schließlich landete ich butterweich im Auto.
    »Danke!«
    »Keine Ursache.«
    Manu versuchte mit rotem Gesicht, meinen Rollstuhl zu verstauen.
    »Nein, Manu, du musst zuerst die Räder abmachen.«
    »Ach so!«
    »Ja genau, und dann an dem Strick hier ziehen, der die Seitenteile hochhebt, und jetzt noch die Rückenlehne umklappen, danke.«
    »Geschafft!« Sie plumpste auf den Beifahrersitz und kicherte: »So was machst du also öfter?«
    »Wenn es sein muss, ja.«
    »Das war ja wohl nicht so direkt unangenehm.«
    »Kann man nicht sagen«, gab ich zu.
    »Obwohl es wahrscheinlich manchmal schon doof ist«, überlegte Manu laut, »wenn man … also wenn man so hilflos ist.«
    »Ja. Ist oft ziemlich beschissen«, erwiderte ich ehrlich. »Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Es bringt mir nichts, wenn ich niemanden um Hilfe frage. Da mache ich stundenlang rum, meine Kräfte schwinden, und zum Schluss bin ich bloß noch verzweifelt. Zum Glück muss ich nicht oft fragen. Meistens komme ich gut zurecht.«
    »Du hast dich früher schon viel getraut. Du warst immer so … mutig.«
    »Aber das war doch jetzt überhaupt nicht mutig. Das war einfach eine naheliegende Lösung für ein Problem«, widersprach ich.
    »Ja, sicher. Mutig bist du trotzdem. Und was ganz Besonderes.« Manus Stimme klang auf einmal wie durchlöchert. Sie legte ihre kleine Hand auf meinen Oberschenkel. »Du hast den Kontakt zu mir gehalten, damals, als du im Krankenhaus warst. Ich hätte mich vielleicht nicht dazu aufgerafft. Wie so viele andere aus Freiberg, die einfach nicht wussten, was sie sagen sollten. Jedenfalls bist du heute dieselbe Ines wie früher! Wildfremde, muskelbepackte Unterhosen-Models anquatschen und sich über Schwellen ins Auto heben lassen.«
    Ich grinste, obwohl ich tief in meinem Inneren sehr genau spürte, dass ich nicht mehr dieselbe Ines wie früher war. Manchmal tat das verdammt weh.

Neustart mit Hindernissen
    In der Gemeinde Kirkel bezogen Markus und ich eine schöne und trockene Wohnung. Leider befanden sich am Hauseingang zwei Stufen, doch der Vermieter hatte nichts gegen eine Rampe einzuwenden. In den letzten zwei Jahren war ich siebenmal umgezogen. Ich war fix im Packen und mein Hausrat überschaubar. Ich wusste genau, was ich wirklich brauchte. Innerhalb weniger Tage brachten wir den Umzug über die Bühne. Endlich würden wir einen normalen Alltag miteinander erleben: Ich hatte meinen Job im Hotel, und Markus studierte an der FH.
    Die Frühschicht mochte ich am liebsten. Sie begann um sechs Uhr morgens, und die Zeit verging wie im Flug. Es war viel zu tun bei Frühstücksbetrieb und Auschecken. Die geteilte Schicht – genauso früh beginnen, doch dann eine lange Pause am Nachmittag und abends noch mal einrücken – strengte mich an, denn sie bedeutete viermal Rollstuhl ein- und ausladen. Sechs Kilo mit einem Arm über mich drüberheben. Mit dem linken Arm Rollstuhl übers Lenkrad, mit dem rechten zugreifen und ihn mit beiden Armen auf den Beifahrersitz bugsieren. Im Hotel nahm niemand auf mein Handicap Rücksicht. Das fand ich einerseits prima, denn ich wollte wie alle Mitarbeiter behandelt werden. Andererseits wäre es mir eine große Erleichterung gewesen, wenn ich den Rollstuhl nur zweimal, nicht viermal hätte ein- und ausladen müssen. Und es war ja nicht nur der Rollstuhl. Es war auch die steile Rampe vor dem Haus, die mir das Heimkommen und Wegfahren vergällte.
    Der Job machte mir großen Spaß, und ich bekam von Restaurant- und Hotelgästen viel positive Resonanz.
    »Ach, hier ist ja noch jemand!«, rief mancher Gast, wenn er mich entdeckte, denn ich saß wirklich sehr tief – normalerweise erwartet man an der Rezeption stehende Angestellte. Nach einer Weile nervte es mich allerdings, dass ich immer wieder gefragt wurde, warum ich im Rollstuhl sitze, wenn auch der Rollstuhl als solches

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