Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
mich mit Zuversicht, da ich mich mit diesem Hilfsmittel wieder ein Stück sicherer fühlte.
Tim ist da!
Eigentlich konnte ich mir das nicht vorstellen: Ein Mensch wuchs in mir. Was für ein riesengroßes Wunder! Oft saßen Markus und ich auf der Couch, seine Hand auf meinem Bauch, wir lauschten und spürten und strahlten uns an. Ich fühlte, dass da etwas war. Etwas, was sonst nicht da war. Ein leichter Druck von innen, wie ein Hauch, und ich war wieder einmal überglücklich, dass mir diese Sensibilität geblieben ist.
Als Geburtstermin war Ende April errechnet, doch nach ausführlichen Beratungen mit den Ärzten wurde beschlossen, das Baby, dessen Name nun auch feststand, am 5. April per Kaiserschnitt zu holen.
Es gibt eine Klinik in Heidelberg, wo gelähmte Mütter ihre Kinder auf normalem Weg zur Welt bringen können. Die Theorie besagt, dass die Gebärmutter ein Muskel ist, der weiß, was er zu tun hat. Es wäre nicht nötig, dass die werdende Mutter selbst aktiv mitarbeitet – was sie wegen der Lähmung ja nicht kann. Doch um diese natürliche Geburt zu erleben, hätte ich Wochen vorher in der Klinik sein und genau beobachtet werden müssen. Wieder wäre ich weit weg von daheim in der Fremde allein in einem Krankenhaus. Ich entschloss mich dagegen. Eine solche Erfahrung hatte ich bereits hinter mir. Die natürliche Geburt erschien mir auch zu gefährlich. Was wäre, wenn das Baby stecken bliebe? Ich konnte ihm nicht helfen, ich hatte keine Kontrolle über meinen Unterleib.
Am Montagabend brachte mich Markus ins Krankenhaus. Nach einer Ultraschalluntersuchung gingen wir Schnitzel essen. Dienstagmorgen wurde ich früh abgeholt, kam aber leider nicht gleich in den OP, sondern lag noch eine Weile im Vorraum herum. Markus war nun endlich auch aufgeregt. Und ich erst! Obendrein standen mir Spritzen bevor. Eine PDA wurde gelegt, die Vollnarkose lehnte ich ab. Ich wollte geistig klar sein, obwohl ich Angst davor hatte. Schließlich würde mein Bauch aufgeschlitzt werden. Davon sah ich natürlich nichts. Ich schaute auf einen grünen Vorhang. Markus saß neben mir. Von Romantik keine Spur. Eher Bahnhofsstimmung. Ständig ging jemand rein und raus, die Leute unterhielten sich über Alltägliches … und gleich würde mein Kind auf die Welt kommen. Das fand ich irgendwie seltsam. Plötzlich hörte ich einen Schrei. Und da war Tim auch schon. Die Hebamme zeigte uns das Baby, ich konnte ihm einen schnellen Kuss geben, dann verschwanden sie. Ich schickte Markus los: »Sieh zu, dass du dranbleibst!« Dann heulte ich eine Runde.
Die Geburt dauerte circa fünf Minuten, das Zunähen 45.
»Ist das langweilig«, beschwerte ich mich bei dem netten Anästhesisten.
»So was habe ich ja noch nie gehört, dass eine Geburt langweilig ist!«
»Ich meine ja auch eher das Vernähen.«
»Nein, das ist nicht langweilig, sondern spannend«, widersprach er und erklärte mir detailliert, was jenseits des grünen Vorhangs geschah. Da ich mich in einer Uniklinik befand, waren auch einige Studenten unter den Leuten am »Bahnhof«. Einmal hörte ich die Stimme des leitenden Arztes oder Professors, der zu einer Studentin sagte: »Das ist die schönste Naht, die ich jemals gesehen habe.«
Das versöhnte mich. Warten lohnt sich manchmal doch.
Einmal hörte ich ein Gespräch von zwei Frauen, die sich nach dem Kaiserschnitt über ihre Narbenschmerzen unterhielten. Das klang ziemlich unangenehm. Ich spürte nichts. Dies war eine jener Situationen, in denen das Gelähmtsein Vorteile bringen kann. Da mich kein Schmerz ausbremste, bestand allerdings die Gefahr, dass ich mich überbelastete. Immer wieder sagte ich mir vor: langsam!
Leider war mein Bauch noch immer dick. Und von meinem Baby keine Spur. Allein lag ich in einem Aufwachraum. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hatte gerade ein Kind zur Welt gebracht! Wo war meine Familie? Endlich kam Markus mit Tim, der schon kräftig saugte. Eine Hebamme zeigte mir, wie ich ihn anlegen sollte. Kaum hatte er ein paar Mal gesaugt, wurde er mir wieder weggenommen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich ihn endlich behalten durfte. So lag er auf meinem Bauch und atmete, und ich schaute ihn an. Stundenlang. Selig. Wenn Markus ihn aufnahm, war ich fast ein wenig eifersüchtig. Ich wollte mein Baby nicht hergeben. Es sollte nur auf meinem Bauch liegen.
Markus wurde angeboten, im Krankenhaus zu übernachten, doch er musste zu Marcky und Sita. Das machte mir nichts aus, wofür ich mich fast ein bisschen
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