Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
sagen pflegt. Ich hatte keine Zeit und keine Ahnung, wohin es führen würde – ich machte es einfach.
Zwei Tage später besuchte mich der Fotograf mit einem Kombi voll professioneller Ausrüstung. Wir waren uns sofort sympathisch und verbrachten einen lustigen und sehr produktiven Nachmittag im Garten. Die Fotos begeisterten mich. Hobbyfotograf war wohl ein bisschen tiefgestapelt. Gemeinsam werteten wir die Bilder aus, und ich schickte einige zum Wettbewerb.
Da ich mich kurz vor dem Bewerbungsschluss meldete, musste ich nicht lange auf eine Antwort warten.
»Frau Kiefer, herzlichen Glückwunsch, Sie sind in der engeren Auswahl.«
Mir fiel fast das Telefon aus der Hand. Was für eine tolle Nachricht! Eine großartige Belohnung für mein Durchhaltevermögen beim Abnehmen. Nein, ich war kein hässliches Entlein. Ich hatte es in die Auswahl zu einem Schönheitswettbewerb geschafft!
Eine Woche später traf ich Renate, die nette Frau, die mir am Telefon gratuliert hatte. Sie wollte mich persönlich kennenlernen, um im Anschluss die Finalistinnen festzulegen. Ich holte sie am Bahnhof in Saarbrücken ab, nachdem ich mehrere Stunden mit Anziehen und Ausziehen verbracht hatte. Eigentlich bin ich recht flott, doch natürlich dauert Anziehen im Rollstuhl etwas länger. Um eine Hose anzuziehen, lege ich ein Bein auf meinen Schoß, ziehe die Hose vom Fuß über dieses Bein, lasse das Bein dann runter, nehme mir das andere hoch und mache dasselbe, bis der Hosenbund bei den Oberschenkeln angekommen ist. Nun muss die Hose über den Po. Dazu halte ich mich mit der rechten Hand am rechten Greifreifen fest und ziehe mit der linken Hand die Hose über die linke Pobacke. Dann wechsle ich die Seiten und beginne das Spiel von vorne. Mit einem Mal klappt es nämlich nicht, ich muss mindestens zweimal auf jeder Seite ziehen. Enge Hosen erfordern natürlich noch mehr Mühe.
Für das Treffen mit Renate hatte ich mich letztlich für ein schlichtes Outfit entschieden: Jeans mit sportlichem Oberteil. Dazu passend schminkte ich mich dezent. Ich wusste nicht, was mich erwartete, doch was dann geschah, verblüffte mich. Renate wollte nicht wissen, wie groß ich war, wie viel ich wog und was ich frühstückte, ob ich Sport trieb und wie ich mich gern schminkte. Sie wollte wissen, warum ich mich beworben hätte, ob ich eine Message hätte und wenn ja, welche, was ich über die Welt im Großen und Ganzen und über das Leben im Allgemeinen und Besonderen dächte.
Ich erfand Motive, Message, Motivation und saugte mir den Rest aus den Fingern. Improvisieren macht mir Spaß. Staunend hörte ich mich selbst reden und fand, dass das alles fundiert klang. So, als hätte ich mich wirklich damit auseinandergesetzt. Das fand Renate wohl auch, denn zwischen Hauptgang und Dessert legte sie den Finalistinnenvertrag auf den Tisch. Ich freute mich riesig, las den Vertrag flugs durch und unterschrieb.
»Wunderbar, Ines«, beglückwünschte mich Renate. »Dann wäre ja alles perfekt. Ach ja, eine Kleinigkeit noch.«
Ich beugte mich vor.
»Die Sache mit deinen Haaren. Das müssen wir ändern.«
»Was ist mit meinen Haaren?«
»Auf manchen Fotos sehen sie rot aus, auf anderen braun.«
»Ja, das ist so. Ich habe rötliches Haar, und je nach Lichteinfall …«
»Ich habe schon genug Blonde, Brünette, Dunkle – es wäre mir lieb, Ines, wenn du komplett rotes Haar hättest. Das ist besser für den Gesamteindruck, für die Abwechslung, für das ganze Konzept, die Show, verstehst du?«
Ich zuckte mit den Schultern: »Dann gehe ich eben zum Friseur.«
»Gleich morgen?«
»Kein Problem.«
»Sehr schön, Ines. Das gefällt mir. Wir werden sicher gut zusammenarbeiten.«
Auf dem Nachhauseweg überfiel mich leichte Panik. War ich komplett verrückt? Konnte ich die Folgen absehen? Was bedeutete das für mein Leben? Was würde als Nächstes passieren? Wenn mir damals jemand gesagt hätte, wie sich diese kleine Haferstichelei entwickeln würde – ich hätte ihn ausgelacht.
Am Montag war ich so durcheinander, dass ich einem Mitstudenten in der Schule von dem Wettbewerb erzählen musste.
»Das musst du publik machen!«, riet er mir.
»Wie meinst du das?«
»Die regionale Presse sollte davon erfahren. Hast du ein Foto?«
»Ja, hab ich«, sagte ich artig, ohne mir darüber Gedanken zu machen, warum die regionale Presse etwas erfahren sollte. Manchmal bin ich schon ein rechtes Schäfchen. Zum Glück – denn sonst wäre alles Folgende ja auch nicht so
Weitere Kostenlose Bücher