Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
gelaufen, wie es dann kam.
»Bring mir das Foto mal mit«, forderte mich der Kommilitone auf. »Ich kenne da jemanden, dem gebe ich es.«
Ich fragte den Hobbyfotografen um Erlaubnis und überreichte meinem Mittelsmann am nächsten Tag einige Fotos. Er hatte sich mir zwischenzeitlich als Hobbyschriftsteller offenbart, schrieb einen Artikel und schickte ihn mit den Bildern an die Presse.
Meine Klassenkameradin Nadine fand meine roten Haare »affengeil«. Ich konnte Nadine gut leiden und verbrachte gern mal eine Pause mit ihr. Nadine fand auch den Wettbewerb großartig. Sie ist drei Jahre jünger als ich, und wenn sie mir manchmal von ihren Jungsgeschichten erzählte, fühlte ich mich zurückversetzt in meine eigene Jugend. Das mag komisch klingen, doch mit Tim und all den Verpflichtungen war ich mittlerweile ganz schön erwachsen. Ich bat Nadine, den Wettbewerb nicht an die große Glocke zu hängen, und weil ich ihr vertraute, berichtete ich ihr auch von meinem Gespräch mit Renate.
»Du hast den Vertrag schon unterschrieben?«, fragte Nadine skeptisch.
Ich nickte.
»Aber so was macht man nicht.« Nadine zögerte. Auf einmal war sie die Erwachsene. »Hast du ihn einem Anwalt gezeigt?«
»Wieso denn einem Anwalt?«
»So was macht man nun wirklich nicht«, wiederholte Nadine und zog die Stirn in Falten.
»Ja, ich weiß schon. Aber Renate wollte ihn gleich wieder mitnehmen.«
»Hm«, machte Nadine und drückte damit eine gewisse Besorgnis aus, deren Hauch mich auch schon einmal gestreift hatte.
Abends besuchte mich Nadine, und wir lasen den Vertrag in Ruhe und mit höchster Aufmerksamkeit durch.
»Das ist ein Knebelvertrag«, stellte Nadine fest.
Kürzlich hatte ich in einer Zeitung gelesen, dass auch die Teilnehmer von TV-Casting-Shows solche Verträge unterzeichnen müssen. Im Falle des Erfolgs ist man dann langfristig gebunden – und das meist zu ungünstigen Bedingungen.
»Ich gewinne sowieso nicht«, sagte ich.
»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher«, erwiderte Nadine trocken.
Eines Morgens überreichte mir der Hobby-Schriftsteller mit vielsagendem Gesichtsausdruck eine Zeitung. Vielleicht zitterten meine Finger ein wenig, als ich sie bemüht gelassen durchblätterte. Da! Da bin ich! Oder sie? Eine junge hübsche Frau im Rollstuhl. Sympathisches Lächeln. War ich das? Ich überflog den Artikel mit der Ankündigung des Wettbewerbs zur schönsten Rollstuhlfahrerin international. Ich las ihn noch mal. Ich starrte das Foto an. Karussell im Kopf. Irgendwie erschien mir das völlig übertrieben. Ich war total normal, und jetzt sollte ich plötzlich etwas Besonderes sein, wie es in dem Artikel stand? Ich war doch einfach nur Ines – und ziemlich geschmeichelt. An diesem Tag bekam ich relativ wenig vom Unterricht mit.
Dieser Artikel blieb nicht der einzige. Viele Zeitungen zogen mit, und nach einigen Wochen überflog ich die Artikel nur noch. Im Grunde stand in allen das Gleiche: junge Frau, schweres Schicksal, mutig, tapfer, glückliche Mutter, attraktives Model. Manchmal fand ich ein Zitat von mir, das ich so bestimmt nicht gesagt hatte. Es war mir beispielsweise neu, dass ich schon als kleines Mädchen vom Modeln träumte – was ja in der DDR nicht möglich war. Ich verbuchte das unter der Rubrik: Man lernt nie aus. Wirklich interessant, welche mir bislang verborgenen Geheimnisse über mich selbst nun verraten wurden.
Eine der Veröffentlichungen bescherte mir eine große Überraschung. Als mein »Heimatblatt«, die Freiberger Zeitung, über mich berichtete, erhielt ich eine Mail von Andi:
»Hallo Supermodel! Ich bin von den Socken! Und total stolz auf dich! Du siehst gigantisch aus. Ich seh dich im Fernsehen? Alles Liebe, Andi.«
Darüber freute ich mich sehr. Meine Eltern freuten sich weniger. Sie hatten Angst um mich. Ich würde mir zu viel zumuten. Schließlich musste ich mich um Tim und mein Studium kümmern. Meine Omas kauften gleich mehrere Ausgaben der Zeitung und schnitten den Artikel aus. Der Apotheker meiner Tante hängte den Artikel an sein Schwarzes Brett, und eine Nachbarin meinte, man müsse jetzt sicher ein Album anlegen, da würde bestimmt noch was nachkommen. »Eins wird nicht genügen bei unserer Ines«, erwiderte mein Opa augenzwinkernd.
Und es kam was nach. Es begann mit Zeitschriften, und eines Tages fragte das Fernsehen an – Andi, der Prophet! Ich startete bei kleinen, regionalen Sendern und wurde durchgereicht über die Privaten bis zum ZDF.
Mit
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