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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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helfen können als sein begeisterter Gesichtsausdruck bei der Schilderung seiner Lieblingsbeschäftigung. Und so konnte ich es dann auch verschmerzen, dass Schmerzensgeld zum Zugewinn zählt und somit beim Vermögensausgleich berücksichtigt wird – wie ich bei unserem Scheidungstermin erfuhr.
    Markus gab sich Mühe, unsere Vereinbarungen einzuhalten. Er holte Tim stets pünktlich ab und brachte ihn auch pünktlich zurück. Dafür war ich ihm dankbar. Doch dieser zweiwöchige Rhythmus tat meinen Lernambitionen nicht gut, und so vereinbarten wir, dass Tim jede Woche einmal zu Markus sollte, abwechselnd Samstag und Sonntag. So konnte ich den Schulstoff der Woche vertiefen. Manchmal freute sich Tim sehr auf Markus, manchmal wollte er lieber bei mir bleiben. Rückblickend denke ich, dass wir diese schwierige Phase trotz vieler Reibereien gut gemeistert haben.

Tim und Herr Krupp
    Ich hatte nun sehr erfolgreich abgenommen und fühlte mich in meinem Körper pudelwohl, wieder begehrenswert und als Frau. Ganz unverbindlich guckte ich mal im Internet. Möglichkeiten zum Ausgehen fehlten mir – ich konnte Tim ja nicht allein lassen. Bei einer regionalen Internet-Community legte ich ein Profil von mir an – mit Foto im Rollstuhl. Der war offensichtlich kein Hinderungsgrund. Verschiedenste Männer zeigten Interesse verschiedenster Art. Mit manchen telefonierte ich, oder wir trafen uns und gingen spazieren, wenn Tim bei Markus war. Das war eine prima Ablenkung für mich, und ich kam immer besser damit zurecht, Tim bei Markus zu lassen.
    Meine Bekanntschaften waren alle nett und viele zudem attraktiv. Doch an jedem störte mich irgendetwas. Der eine lästerte über seine Ex-Freundin, der andere war unglücklich mit seinem Job, ein Dritter sah zwar super aus, doch er arbeitete sechzig Stunden in der Woche – so stellte ich mir keine Partnerschaft vor. Was nützt mir ein Mann, der viel Geld verdient, aber kaum zu Hause ist? Da kann ich auch alleine bleiben.
    Ich wollte keine Frau sein, die immer auf den gleichen Typ reinfällt. Ich wollte mich auf keinen Fall von Äußerlichkeiten blenden lassen. Es gab nur ein Kriterium: Der nächste Mann, den ich mir ins Haus holen würde, musste mit Tim zurechtkommen. Ich brauchte einen Partner, dem die Familie wichtig ist. Einen, der tatkräftig zupackt, anstatt lasch auf dem Sofa zu lümmeln. Vielleicht sogar einen, der gern Vater sein wollte.
    Ich wünschte mir ein Geschwisterchen für Tim. Er sollte kein Einzelkind bleiben, und deshalb disqualifizierte sich auch jener Kandidat, der mir beim Spazierengehen von seiner Sterilisation erzählte, mit der er zu punkten hoffte. Ich suchte nicht nach dem perfekten Mann, da würde ich ja heute noch suchen, aber ich wusste ziemlich genau, wer zu uns passen würde. Klar sollte er auch gut aussehen. Doch darauf kam es mir nicht an. Attraktive Männer hatte ich genug kennengelernt. Das genügte mir nicht. Ich wollte mehr.

    Ein halbes Jahr nach der Trennung wachte ich mitten in der Nacht auf. Tim röchelte so seltsam. Träumte er? Ich nahm ihn in den Arm. Das Röcheln hörte nicht auf. Es klang grauenvoll. Hatte er sich verschluckt? Ich klopfte ihm sanft auf den Rücken. Keine Wirkung. Er fing zu weinen an. Regte sich auf. Schrie. Ich wiegte ihn im Arm. »Gleich mein kleiner Schatz, gleich geht es dir besser.« Aber es ging ihm nicht besser. Tim rang nach Luft. Er erstickt! Panik stieg in mir hoch. Notarzt?
    Die Kinderklinik ist nur drei Kilometer von meinem Haus entfernt. Beim Grundstückskauf war das für mich ein weiterer Pluspunkt gewesen. Ich packte Tim ins Auto und fuhr los. Er röchelte ohne Unterlass. Meine Hände zitterten wie verrückt. Als wir endlich bei einem Arzt waren, kümmerte er sich nicht um Tim. Er wollte von mir wissen, wo ich versichert sei, wann ich geboren sei und weitere unwichtige Dinge – während Tim kaum Luft bekam und ich zitterte. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, er solle sich endlich um mein Kind kümmern, doch es war mir klar, dass ich damit nichts beschleunigen würde.
    Keinen Blick warf der Arzt auf Tim, er starrte nur auf seinen Bildschirm. Endlich hatte er alle Daten eingetragen. Ohne Tim untersucht zu haben, sagte er: »Das klingt wie ein Pseudokruppanfall, allerdings nicht eindeutig, eigentlich gehört Husten dazu.«
    Ja, und warum untersucht er ihn dann nicht, wenn es nicht eindeutig ist, fragte ich mich – und dann kapierte ich: Er hatte sich so in seine Daten reingesteigert, weil er unsicher war.

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