Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
meine Entscheidung richtig war, stellte sich nicht für mich, es ging darum, wie ich Sitas Bedürfnisse mit Tims und meinem Alltag verbinden konnte. Als meine Eltern und verschiedene Bekannte und Schulkameraden mitbekamen, dass ich nun auch noch einen Hund hatte, konnte ich mich vor Mut machenden Tipps kaum retten.
»Bist du verrückt?«
»Gib sie weg!«
»Das schaffst du nicht!«
»Stell sie Markus vor die Tür und hau ab.«
Oft blieb es bei der Kurzfassung: »Um Gottes willen!«
Dass es nicht einfach werden würde, war mir klar. Doch noch viel schwieriger wäre es für mich gewesen, dem Tierheim zuzustimmen. Wir mussten nun alle zusammenhalten. Ich rief Sita zu mir, sie legte ihren Kopf auf meine Knie und hob den Blick. Und dann führten wir ein ernstes Gespräch, in dem ich ihr die Situation erklärte.
»Auf das Morgen-Gassi musst du hier verzichten. Das schaffe ich nicht, weil ich den Tim ja für den Kindergarten fertig machen muss. Für dich bedeutet das, du musst morgens mit dem Garten vorliebnehmen. Tut mir leid, anders geht es nicht. Wenn das Wetter schön ist, kannst du gerne draußen bleiben bis Mittag. Das gefällt dir bestimmt gut. Wenn es nicht so schön ist, kannst du im Haus bleiben und in deinem Körbchen schlafen. Da leg ich dir noch ein Kissen rein. Das ist sicher recht gemütlich, und noch ehe du dich dreimal umgedreht hast, ist schon Mittag, und ich komme nach Hause. Dann machen wir einen langen Spaziergang mit Tim. Richtig lang, Sita. So, wie du es noch mit Marcky kennst, als ich den Trac neu hatte. Abends wirst du noch mal mit dem Garten vorliebnehmen müssen. Außer am Wochenende. Da können wir dreimal täglich raus. Was meinst du?«
Sita stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und ließ ein behagliches Brummen folgen. Ich wertete das als Zustimmung.
Tim war hellauf begeistert von Sita. Schon nach wenigen Tagen wusste ich, dass ich mich nicht überforderte. Die Freude überwog. Außerdem hatte ich einen Joker: Markus hatte mir in die Hand versprochen, dass er sich bei Bedarf um den Hund kümmern würde. Unser Umgang war nun recht locker, manchmal sogar kameradschaftlich. Hin und wieder sagte er zwar einen vereinbarten Termin ab, dafür war es aber auch kein Problem, einen anderen kurzfristig zu verschieben. Wir einigten uns immer. Eigenschaften, die mich in der Beziehung mit Markus gestört hatten, kamen mir nun entgegen. Dass er eben nicht auf besprochenen Verabredungen beharrt, sondern flexibel und spontan reagiert. Nun ja, fast immer.
Einmal bat ich ihn am Telefon, Tim eine Stunde später zu holen und eine Stunde später zu bringen.
»Ne, das klappt nicht!«, sagte Markus. »Ich will schließlich auch mal weggehen. Wann soll ich denn ausgehen?«
Es verschlug mir die Sprache. Der arme Markus hatte nicht mal die Gelegenheit auszugehen, weil er sich jedes Wochenende einen ganzen langen Tag um seinen Sohn kümmern musste. Nicht, dass ich mich beschweren wollte. Ich war vollkommen zufrieden mit der Situation. Dennoch fand ich seine Reaktion gewöhnungsbedürftig. Trotz aller Freundschaft gab es die eine oder andere Zankerei an der Haustür. Markus rauchte, obwohl das Gift für Tim war. Markus weigerte sich, eine Jacke für Tim mitzunehmen, obwohl ein eisiger Wind pfiff. »Wir sitzen doch bloß im Auto.«
»Und wenn ihr einen Unfall habt?«, fragte ich. Das wollte ich natürlich nicht, aber wie sollte ich Markus erklären, dass man die Jacke doch zumindest mitnehmen konnte? Für den Notfall.
Unsere Missverständnisse wuchsen sich nie zu Konflikten aus. Wir waren beide sehr bemüht, eine gute Verbindung aufrechtzuerhalten. Wir wollten uns gegenseitig nicht im Weg stehen – und so ist es bis heute geblieben. Markus wohnt mittlerweile in Karlsruhe und freut sich, wenn er Tim im Saarland besucht. So hat sich alles wunderbar gefügt.
Die Gespenstheuschrecke
Im Sommer 2007 lernte ich meine Mitfinalistinnen in Hannover bei einem Pressewochenende kennen. Nadine begleitete mich und kümmerte sich um Tim. Die beiden verstanden sich prima. Wir waren in einem noblen Hotel untergebracht und genossen die Abwechslung zum Studium. Leider blieb mir nicht viel Zeit zur Entspannung. Die Finalistinnen wurden pausenlos fotografiert und interviewt. Bei all dem Rummel merkten wir gar nicht, dass wir »behindert« waren – und genau dies war auch Sinn und Zweck der Veranstaltung, wie es im Pressetext hieß. Der Model-Contest für Frauen im Rollstuhl sollte uns die Möglichkeit geben, uns in erster
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