Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Er hatte sich quasi Bedenkzeit verschafft. Endlich widmete sich der Arzt Tim, bat die Krankenschwester um einen Inhalator, und schon nach wenigen Atemzügen ging es Tim endlich besser.
Untersuchungen am nächsten Tag brachten Gewissheit: Es war Pseudokrupp. Mein Kinderarzt beruhigte mich: »Sterben kann man daran nicht. Es gibt gute, wirksame Medikamente.« Dann fügte er hinzu: »Und meistens hört es im Schulalter wieder auf.«
Er drückte mir eine Broschüre in die Hand, die mir nichts Neues bot, denn selbstverständlich hatte ich die Nacht über im Internet recherchiert. Die erste Information, auf die ich stieß, lautete, dass Pseudokrupp verstärkt in Raucherfamilien auftritt, was meine Abneigung gegen Zigaretten erneut entfachte. Hinter der Krankheit steckt eine Entzündung der Schleimhaut im Bereich des Kehlkopfs und der Stimmbänder mit teilweisem Verschluss der Atemwege. Die Folge: Atemnot, Erstickungsängste, Herzklopfen und Unruhezustände.
Mein armer, armer Liebling. Wie gern hätte ich ihm das abgenommen. Doch ich konnte nichts tun, gar nichts. Die Anfälle kamen und gingen – in den folgenden Jahren verbrachten wir im Herbst und Frühling stets einige Tage im Krankenhaus. Inhalieren half Tim sehr gut – im Gegensatz zu den empfohlenen Zäpfchen, die wenig Wirkung zeigten. Aber allein zu wissen, woran Tim litt, half mir, mit der Situation umzugehen.
In der Krippe war Tim nun nicht mehr die Nummer eins. Er hatte Gesellschaft bekommen von Marie. Ihre Mutter, Katrin, stammte auch aus Sachsen, und wir freundeten uns an. Mit ihr redete ich auch über andere Themen als Kinder, und wenn ich wieder mal ein Rendezvous hinter mir hatte, erzählte ich gern davon.
Katrin sagte eines Tages zu mir: »Ich glaube, du hast zu hohe Ansprüche.«
»Nein, ich will nur nicht mehr reinfallen.«
»Du gehst das Ganze mit dem Kopf an. Das heißt, du bist nicht verliebt. Wenn du verliebt wärst, würdest du so nicht reden.«
»Ja, dann würde ich nämlich den Verstand ausschalten, und das soll mir nicht noch mal passieren. Ich suche jetzt nicht nur einen Mann für mich, ich suche auch einen Partner, der mit Tim auskommt.«
»Der Richtige wird schon auftauchen.«
»Und wann?«, fragte ich, als hätte Katrin eine Kristallkugel vor sich.
»Dann, wenn du es nicht erwartest. So ist es doch immer.«
»Am besten, ich mache mir keine Gedanken darüber.«
Katrin nickte: »Mit Gedanken liebst du nicht. Du liebst mit dem Herzen. Solange das nicht mitspielt, ist alles schnöde Theorie. Die Zeit kannst du dir sparen.«
»Du bist ja eine richtige Philosophin!«
Katrin grinste: »Küchenphilosophie.«
»Das ist wenigstens eine Disziplin, die einem weiterhilft«, bestätigte ich.
Im Gegensatz zu früher befürchtete ich überhaupt nicht mehr, keinen Partner zu finden, übrig zu bleiben, Mauerblümchen zu sein. An Angeboten mangelte es mir nicht. Eigentlich war es wie zu meiner Schulzeit. Ich hatte eher Probleme damit, Verehrer abzuwimmeln, als welche zu kriegen. Warum das so ist? Keine Ahnung. Ich verstehe es bis heute nicht. Aber man muss ja nicht alles erklären, und ich war natürlich überaus zufrieden mit diesem Zustand. Doch es war eben kein Richtiger dabei. Vielleicht war das auch besser so, denn im Grunde genommen hatte ich für eine Beziehung keine Zeit. Ich würde jetzt erst mal mein Studium abschließen. Die nächsten drei Jahre waren voll durchgeplant. Dann konnte ich noch immer weitersehen.
Beautys in Motion
2004 las ich in einer Zeitung, dass es einen Model-Wettbewerb für Rollstuhlfahrerinnen gibt: Beautys in Motion. Dieser Wettbewerb wurde jedes Jahr durchgeführt, 2005 auch mit Männern, 2006 wieder lediglich mit Frauen, und 2007 wurde er erstmals international ausgeschrieben. Das ließ mich nicht los. Ich konnte nicht sagen, was genau mich daran so reizte. Ich guckte mal auf der Internetseite des Wettbewerbs. Diese Herausforderung passte zu meiner guten Stimmung in diesem Sommer. Noch drei Wochen bis zum Bewerbungsschluss. Das wäre echt cool, dachte ich. Warum nicht?
Ich klickte auf die Teilnahmedingungen. Lebenslauf – kein Problem. Foto … wo bekam ich auf die Schnelle ein tolles Bild her? Da fiel mir ein Bekannter aus der Internet-Community ein, der sich Fotograf nannte. Ich öffnete das Mail-Programm und fragte an, ob er tatsächlich Fotograf sei. Kurz darauf landete die Antwort mit einem »Pling!« in meinem virtuellen Briefkasten. Ja, Hobbyfotograf. Da stach mich der Hafer, wie meine Oma zu
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