Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Linie als Frauen zu erleben. Wir sollten uns auch jenseits therapeutischer Belange und medizinischer Fragen mit unserem Äußern beschäftigen. Das machte großen Spaß! Meine Mitfinalistinnen waren ausnahmslos schöne Frauen. Ich rechnete mir wenige Chancen aus. Dabei sein ist alles.
Ich freute mich darüber, so viele junge Frauen kennenzulernen, die sich in einer ähnlichen Situation wie ich befanden. Leider hatten wir Kommunikationsprobleme. Wir verständigten uns mit Händen und Füßen – also mit Händen. Eigentlich ein komisches Sprichwort. Wer redet schon mit Füßen! Unter anderem gab es zwei Italienerinnen, eine Schwedin, eine Serbin. Ich war die einzige Rollstuhlfahrerin, die in dieser Zeit Mutter geworden war. Andere Mütter hatten ihre Kinder als Fußgängerinnen zur Welt gebracht. Es gab einige junge Frauen, die sich sehr nach einem Kind sehnten – und keine Schwangerschaft wagten. Sie bombardierten mich mit Fragen, und ich sprach ihnen Mut zu.
»Aber wie hast du dies gemacht und jenes …« – immer neue Details fielen ihnen ein, und ich verriet ihnen meine praktischen Lösungen. Und außerdem: »Ein Kind wächst so schnell – das erlebe ich nun mit Tim. Wenn man überlegt, wie kurz der Zeitraum ist, in dem ein Kind komplett auf die Mutter angewiesen ist, dann ist es absolut realistisch, diese Spanne zu organisieren. Es ist nicht lebenslänglich so aufwendig und anstrengend wie mit einem Säugling, das muss man einfach mal in den Kopf kriegen. Es ist lediglich ein Abschnitt. Im Vergleich zu einem ganzen Leben ist die Zeit, in der man ein Baby mit sich herumträgt oder wickelt oder badet sehr begrenzt. Jeden Tag wird das Kind selbständiger – und damit lösen sich auch viele Probleme.«
Ich erzählte davon, wie Tim mir mit seinen zweieinhalb Jahren jetzt schon manchmal zur Hand ging, und war überglücklich, als ich merkte, dass ich den Kinderwunsch bei der einen oder anderen Finalistin vom Reich der Träume in greifbare Nähe rücken konnte.
»Aber du kannst deine Finger bewegen. Das ist wichtig! Ich kann meine Finger nicht bewegen. Bei mir ist das nicht machbar«, entgegnete eine der Frauen mit unglücklichem Gesicht.
Ich widersprach ihr: »Eine Mutter ist nicht nur eine Mutter, weil sie ein Kind wickelt oder ihm die Socken anzieht. Eine Mutter ist da. Darauf kommt es an. Bitte glaub mir, die Angst, das Kind nicht gut versorgen zu können, verschwindet im Alltag.« Obwohl ich selbst absolut überzeugt von meinem eigenen Entschluss war und ihn noch nie bereut hatte, beschönigte ich nichts: »Ja, am Anfang ist es bitter, wenn du als Mutter zusehen musst, wie eine Krankenschwester dein Baby wickelt, weil deine Arme zu kurz sind und du nicht rankommst. Aber zu Hause hast du einen unterfahrbaren Wickeltisch und alles, was du brauchst. Im Arm halten kannst du dein Kind immer, und es kann auf deinem Bauch liegen. Du kannst es streicheln und fühlen und mit ihm in einem Rhythmus atmen.«
Die Augen der jungen Frau schimmerten feucht. Sie blinzelte heftig, damit die Schminke nicht zerlief. Ich legte ihr meine Hand auf das Bein.
»Gestern Abend zum Beispiel«, sagte ich. »Da ist mein kleiner Sohn Tim in meinem Arm eingeschlafen. Mit seinem Kopf ist er immer näher an mich herangerutscht, bis seine Haare mich am Hals gekitzelt haben. Ich habe ihn atmen gehört und seine Wärme gespürt, und er hat sich fest an mich gekuschelt. Dafür brauche ich keine Finger, verstehst du?«
Sie nickte.
Das war meine Botschaft an diesem Wochenende: Traut euch! Der Rollstuhl hindert euch nicht daran, Mutter zu werden!
Einer der Höhepunkte des Pressewochenendes war eine Foto-Session im Zoo von Hannover. Für einen Kalender wurde jede Finalistin mit einem anderen Tier fotografiert, darunter ein Elefant, Papageien, eine Würgeschlange, ein Waschbär und Ziegen. Ich sollte mit einer Gespenstschrecke abgelichtet werden: im Gesicht! Leider regnete es an diesem Tag – doch ich hatte Glück: Insekten mögen es warm, und ich musste nicht irgendwo im Kalten warten, bis ich an die Reihe kam, sondern im Terrarium.
»Sie haben hoffentlich nichts gegen Insekten?«, fragte mich ein Pfleger augenzwinkernd.
Ehrlich gesagt hatte ich mir darüber noch nicht allzu viele Gedanken gemacht. Ich schüttelte den Kopf.
»Gibt ja Leute, die werden bei so was hysterisch«, meinte er.
»Nein, nein«, sagte ich, was ich auch schon einmal am Telefon zugesichert hatte, als man mich fragte, ob ich mit einem Insekt als Requisite
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