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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Kiefer
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einverstanden wäre.
    »Wir nehmen ein Weibchen«, erklärte der Pfleger, »die sind größer.«
    Schön war die Gespenstschrecke, die auch Gespenstheuschrecke genannt wird, nicht. Aber sie war gar nicht so gruselig, wie ihr Name klingt. Auf jeden Fall war dieses golden schimmernde Insekt ein faszinierendes Geschöpf.
    »Na, dann wollen wir mal«, sagte der Geisterdompteur und setzte mir die Heuschrecke auf die Hand. In einem Reflex zog ich sie weg. Beim zweiten Versuch klappte es. Doch ich musste mich überwinden. Ich atmete tief durch, und dann fand ich es nur noch cool. Die Widerhaken des Insekts kribbelten auf meiner Haut. Es kroch meinen Arm hoch. Ich musste gut aufpassen, dass es nicht abstürzt, und legte meine zweite Hand wie ein Sicherheitsnetz darunter. Es war ein sanftes, zartes Gefühl, wie die Gespenstschrecke an mir hochkletterte. Als die Heuschrecke meinen Hals erreichte und der Pfleger den Test beendete und sie wegnahm, hätte ich sie gern noch ein wenig behalten.
    Beim Shooting durfte ich sie noch einmal an mir krabbeln lassen, doch da musste ich mich zu sehr auf die Anweisungen des Fotografen konzentrieren, als dass ich ihre zarten Berührungen hätte genießen können.

Spielraum
    Endlich Sommerferien! Das Sahnestück meiner Studentinnenzeit. Eigentlich hätte ich nun sehr viel lernen müssen. Doch durch die Vorbereitungen auf den Contest, meine Ausflüge mit Tim und Sita und den Haushalt inklusive Garten, der im Sommer auch mehr Arbeit machte, schaffte ich es nicht jeden Tag. Schließlich beschloss ich, einfach so weiterzumachen wie bisher. Ich lernte gezielt für die Klausuren und passte im Unterricht gut auf. Das war für mich die beste Strategie. Ich möchte mir den Kopf nicht vollstopfen mit Dingen, die ich im Moment nicht benötige. Hin und wieder bedauerte ich es, dass mir die Zeit dafür fehlte, meinen vielfältigen Interessen nachzugehen. Wenn im Unterricht ein komplexer Begriff fiel oder ich etwas über einen interessanten Sachverhalt las, hätte ich gern mehr gewusst – doch ich konnte es mir zeitlich nicht leisten, mich tiefer einzuarbeiten. So konzentrierte ich mich also auf das Wesentliche und war hellhörig, sobald die Dozenten eine Andeutung bezüglich des Prüfungsstoffes fallenließen. Gelegentlich sagten sie Dinge wie »Das ist wirklich wichtig« oder »Das sollten Sie sich merken«. Oft wurden genau diese Themen in den Klausuren abgefragt. In meinem ersten Jahr glänzte ich mit der besten Durchschnittsnote, was mich sehr stolz machte.
    Unser Kurs war ein bunt zusammengewürfelter Haufen zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig. Die Scheidungsrate war sehr hoch. Es gab auch einige Eltern, doch ihre Kinder waren alle älter als Tim. Wir lernten Verwaltungsrecht, Staatsrecht, Kommunalrecht, Polizeirecht, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Was knochentrocken klingen mag, kann ziemlich spannend sein – es liegt lediglich an der Fähigkeit der Dozenten, den Stoff interessant zu vermitteln. Zu meiner eigenen Überraschung fand ich die Rechtsfächer richtig interessant. Es macht mir Freude, mit Gesetzen zu arbeiten.
    Im Unterricht lernten wir häufig an Praxisfällen. Zum Beispiel: A schlägt B auf die Nase. Was wie ein einfacher Sachverhalt aussieht, betrifft unter Umständen viele Paragraphen, und diese sollten wir finden und auslegen. Das fiel mir leicht, da ich schnell denken und reden kann und ein Talent dafür habe, mir Dinge aus den Fingern zu saugen. Die Gesetze sind gar nicht so streng, wie es den Anschein hat. Sie lassen einen gewissen Spielraum, in dem man sich bewegen kann – es kommt darauf an, die richtigen Argumente zu finden. Wirtschaftsbezogene Rechenaufgaben machten mir weniger Spaß. Umso mehr wundert es mich heute, wie gut ich mit den vielen Zahlen zurechtkomme, die zu meinem neuen Aufgabenbereich gehören.

Der Nachbar
    Nur noch selten schaute ich in meinen Briefkasten bei der Internet-Community. Ich hatte keine Zeit mehr für das Internet, nachdem es so viel ins Rollen gebracht hatte in meinem Leben. Eines Tages fand ich einen sehr langen Text in meinem Briefkasten, der schon vor einer Weile abgeschickt worden war. Das war keine Mail, das war eher ein Brief. Thomas schrieb mir, dass er mich auf dem Feuerwehrfest in Limbach gesehen habe und mich dafür bewundere, wie ich mein Leben meistere. Sein Brief war nicht nur sehr gut geschrieben, sondern auch sehr einfühlsam. Er brachte eine Saite in mir zum Klingen.
    Ich hatte eine leise Ahnung, wer hinter diesem

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