DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)
gegen Feierabend abhole? Ich könnte Sie zum Essen einladen. Sie dürfen auch das Restaurant auswählen."
Was hatte er gesagt? Ein Bekannter von Frau Jäger? Sie mochte die alte Dame, die hin und wieder Zupfkuchen vorbeigebracht hatte, wenn sie einer Einladung ihrer Mutter zum Kartenspielen gefolgt war. Aber genügte das, um sich mit einem völlig Fremden zu treffen?
"Mir steht nicht der Sinn nach einem Abendessen", antwortete sie. Und es stimmte.
"Es geht mir nicht ums Essen, sondern um ein Gespräch. Ein Gespräch abseits des Trubels hier." Er machte eine Handbewegung, die sich auf das bunte Treiben im Buchladen bezog. "Wie wäre es mit einem Kaffee? Morgen früh im Bistro auf der anderen Straßenseite? Sagen wir um Acht?"
Seine Hartnäckigkeit verwirrte sie. Trotzdem wusste sie, dass sie seine Einladung nicht ablehnen konnte. Es ging um den 13. September. Den Amoklauf. Den Tod von zwölf Menschen, von denen zumindest ein weiteres Opfer nun keine Fremde mehr bleiben würde. So sehr die Erinnerung daran selbst nach all den Monaten noch schmerzte, sie spürte, dass es richtig war, mit ihm zu reden. Nur nicht jetzt. Nicht hier.
"Also gut", sagte sie. "Ich werde da sein."
"Großartig." Zum ersten Mal während des Gesprächs lächelte er. Ein Lächeln, das erneut einen Hauch von Vertrauen in ihr weckte.
Er reichte ihr die Hand, um sich zu verabschieden, als ihr auffiel, dass er sich gar nicht vorgestellt hatte.
"Wie heißen Sie überhaupt?", fragte sie.
"Ich bin Simon", antwortete er.
Sie schob das Buch zurück in die Lücke, aus der sie es genommen hatte, und nickte ihm mit dem letzten Rest Unsicherheit zu.
"Ich bin Nita."
*
Sein Herz hämmerte, als ob es gleich seinen Brustkorb durchbrechen würde. Jeden Augenblick, da war er sich sicher, konnte er bewusstlos zusammensacken. Wann war er das letzte Mal derart nervös gewesen? Wann hatte ihm eine Begegnung so viel Beherrschung abverlangt? Ob sie das Zittern in seiner Stimme bemerkt hatte?
Er stellte den Motor seines Vans ab. Zum zweiten Mal, denn an ein Losfahren war noch immer nicht zu denken. Jetzt hatte er schon fünf Minuten erfolglos versucht, sich zu beruhigen.
Er erwischte sich bei der Feststellung, dass sie genauso aussah, wie er sie sich vorgestellt hatte. Nicht nur, dass er sich in diesem Moment eingestand, überhaupt eine Vorstellung von ihr gehabt zu haben; er hatte in ihrer Anwesenheit auch dasselbe Vertrauen wahrgenommen, das ihre Briefe in ihm geweckt hatten.
Ob es ihr ähnlich ging? Die Art, wie sie ihn skeptisch, geradezu prüfend gemustert hatte, ließ ihn zweifeln. Er hatte den Eindruck, dass sie versucht hatte, sich an ihn zu erinnern, ohne zu ahnen, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war. Und auf welcher Grundlage sollte ein Vertrauen ihrerseits basieren, wenn sie nichts von der besonderen Bindung, nichts von dem Buch ahnte?
Wieder fragte er sich, wie er ihr das Ganze glaubwürdig vermitteln sollte. Wie konnte er ihr beweisen, dass er sie besser kannte, als sie ahnte? Oder war es vielleicht besser, das Buch gar nicht zu erwähnen? Der Gedanke an dunkelblaue Augen, die mit grünen Sprenkeln regelrecht aufzublitzen schienen, vertrieb die letzten Fragen aus seinem Kopf. Er würde keinen Plan schmieden, um sie zu überzeugen. Keine detaillierten Beweise liefern, um die Bindung zwischen ihnen zu untermauern. Wenn es eine Verbindung zwischen ihnen gab, würde sie sich auch so durchsetzen. Und umso ungezwungener er an das Treffen heranging, desto natürlicher würde es auch ablaufen.
Sein Blick wanderte erneut zum Schaufenster des Buchladens, der nur wenige Meter von seinem Parkplatz entfernt war. Grelles Licht ließ das Geschehen im Laden von außen wie eine eigene kleine Welt erscheinen. Und dann sah er sie, wie sie am Verkaufstresen ein Buch in Geschenkpapier einwickelte. Goldenes Band auf dunkelrotem Bogen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, und das akkurat zusammengebundene Haar zeichnete sich in dunklen Strähnen auf dem Pastellblau ihrer Bluse ab. Trotz der Tatsache, dass er sie nur von hinten sah, hatte er ihren Blick noch immer vor Augen. Die aufkeimende Ahnung, die gegen die Skepsis ankämpfte. Die Hoffnung, die sich immer wieder erfolglos gegen die Enttäuschung stemmte. Die Gewissheit, die sich nach all dem Schmerz nach der Naivität vergangener Tage zurücksehnte. Er kannte jede einzelne dieser Emotionen. Er kannte sie . Dessen war er sich sicher. Eigentlich brauchte es nicht mal eines Gesprächs, um sich dessen
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