DAS GLÜCK IM AUGENWINKEL 2: Edition Nancy Salchow (German Edition)
Schimmer. Eine winzige Narbe unter dem rechten Mundwinkel. Der Ansatz eines Lächelns, das sich dann doch nicht dazu entscheiden konnte, eines zu werden. Sie war sich sicher, dass sie ihn nie zuvor gesehen hatte, und doch rief seine Anwesenheit ein unerklärliches Vertrauen in ihr wach, das sie seltsam verunsicherte. Wie der blasse Schatten einer Erinnerung, die sich nicht in vollem Umfang abrufen ließ.
"Dieser junge Mann hat nach Ihnen gefragt", sagte Herr Volkmann. "Ich glaube, es ist etwas Privates."
Mit einem Lächeln, das Nita nur beiläufig wahrnahm, verließ er die beiden.
Schweigend musterte sie den Fremden, ohne sich die Mühe passender Worte zu machen. Eine undefinierbare Gewissheit machte jede Höflichkeitsfloskel überflüssig. Sie wusste, dass er es war. Dass er der Mann war, der nach ihr gesucht hatte. Viel irritierender war jedoch die Tatsache, dass sein Auftauchen sie nicht wütend machte. Kein Anflug von Misstrauen. Ein Umstand, der sie letztendlich noch mehr beunruhigte.
"Es tut mir leid, dass ich hier einfach so auftauche", sagte er endlich. "Judith Jäger, eine alte Bekannte Ihrer Mutter, sagte mir, dass ich Sie hier finden würde."
"Judith Jäger", wiederholte sie monoton. "Ich kenne Frau Jäger. Aber sollte ich Sie kennen?"
Die Intensität, mit der sie ihn gemustert hatte, erschreckte sie plötzlich. Er war ein Fremder, noch dazu mit einem Anliegen, das sie eher hätte irritieren sollen! Dennoch hatte sie dem unerklärlichen Drang nachgegeben, ihn geradezu prüfend zu begutachten.
"Das zu erklären wird vermutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen", antwortete er. "Außerdem ist mein Anliegen eher persönlicher Natur und nicht geeignet, um zwischen Tür und Angel besprochen zu werden."
Sein Blick schien sie regelrecht zu durchleuchten und auf gewisse Weise nach Details zu suchen, die keinesfalls übersehen werden durften. Eine Tatsache, die sie nervös machte, aber es gelang ihr nicht, sich abzuwenden.
"Aus welchem Grund sollte ich mich mit Ihnen unterhalten?", fragte sie, darum bemüht, möglichst gleichgültig zu klingen. "Noch dazu an einem anderen Ort als diesem?"
"Wie gesagt, Frau Jäger ist eine gemeinsame Bekannte und …" Seine Selbstbeherrschung begann zu bröckeln. "Es ist schwer zu erklären, und ich glaube wirklich, dass es der Bedeutsamkeit dieses Themas angemessen wäre, wenn wir unser Gespräch an einem anderen Ort fortführen würden."
Sie riss sich von seinem Blick los. So irritierend seine Anwesenheit auch war, er war ein Fremder, und es war mehr als unvernünftig, das Vertrauen zu ihm allein auf einem Gefühl aufzubauen.
"Tut mir leid, aber wenn das Ihre einzige Begründung für ein Gespräch mit mir ist, habe ich leider keine Zeit für Sie." Sie zog ein Buch aus dem Regal und stellte es in eine Lücke unter dem Buchstaben E . "Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu tun."
Sie zog ein weiteres Buch heraus, das weder unter dem falschen Buchstaben noch dem falschen Autor plaziert war. Ein nervöses Verhalten, das sie verärgerte. Wie gelang es ihm, sie allein durch seine Anwesenheit so aus der Fassung zu bringen? Was auch immer er von ihr wollte, sie wusste, dass sie keine Energie, kein Interesse dafür aufbringen wollte. Dass sie nicht bereit war, sich darauf einzulassen. Warum nur war sie dermaßen nervös? Kannte sie ihn vielleicht doch und hatte es nur vergessen? Sie unterdrückte den Drang, ihn erneut zu mustern, um die letzte Unsicherheit aus dem Weg zu räumen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er einen Schritt näher kam.
"Ich habe meine Frau verloren", sagte er, nun etwas leiser.
"Das tut mir leid", antwortete sie, den Blick noch immer auf die Buchrücken im Regal gerichtet.
"Am 13. September 2010", sagte er.
Unweigerlich hielt sie den Atem an. Zögernd erwiderte sie seinen Blick.
"Um genau zu sein, bei demselben Drama, das auch Ihren Mann das Leben gekostet hat", fuhr er fort.
Sie umklammerte das Buch so fest, dass die Haut an ihren Händen weiß wurde. Der 13. September.
Sie räusperte sich. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
Ihre Kehle schnürte sich zusammen, der altbekannte Druck legte sich auf ihren Brustkorb. Dasselbe Gefühl, das sie überkam, wann immer sie etwas an Patricks Tod erinnerte. Nur dass sie dieses Mal nicht etwas daran erinnerte, sondern jemand .
"Ich kann verstehen, wenn Ihnen jetzt die Worte fehlen", sagte er. "Deshalb würde ich ja gerne in Ruhe mit Ihnen reden. Woanders. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie heute
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