Das Glück ist eine Katze
Engel.«
|156| »Hat der auch Flügel?«
»Seit drei Wochen. Stoffele, dein lieber Großvater, hatte ein bißchen mit ihm gespielt, weshalb Konrad sie ihm wieder ankleben
mußte.«
»Aber Konrad glaubt doch nicht an Engel«, sagte Schlumpel. »Oder glaubt er nur an Engel mit abgegangenen Flügeln?«
»Konrad glaubt, wie ich, nicht an den damaligen, echten Engel. Nur an den geerbten.«
»Ich tät lieber an den echten glauben. Find ich viel einfacher. Ich glaub, ihr seid ein bißchen blöd. Ist mein Opa jetzt auch
heilig?«
»Bestimmt nicht. Er hatte nix Heiligmäßiges an sich. Schon gar nicht, was seinen Namen anging.«
»Jetzt weiß ich alles über Engel«, sagte Schlumpel. »Jetzt reicht’s. Ich geh ein bißchen raus.«
Nach einer Stunde war sie wieder da. »Du hast jemand vergessen.«
»Ich? Wen? Und wo?«
»Bei der Krippe.«
»Ausgeschlossen. Ich kenn das Personal.«
»Eine Katze.«
»Aber Schlumpel!« sagte ich.
»Eine mit Streifen, wie ich, aber grau.«
»Aha. Und woher weißt du das?«
»Von Miss Lizzy. Das ist eine sehr alte Katze. Sie wohnt vier Häuser weiter. Die hat mir doch |157| mal das Paradies erklärt, und ich hab’s dann wieder dir erklärt.«
»Ach, die. Und woher weiß sie das?«
»Von ihrer Oma. Und die von ihrer. Sie stammt nämlich von dieser Krippenkatze ab. Sie sagt, es war sehr gescheit von der Maria
und dem Josef und dem lieben Gott, der der andere Vater ist, sich einen Stall mit Katze auszusuchen. Wegen der Mäuse. Der
Esel hätt sie wahrscheinlich nicht gefangen, der Ochs auch nicht. Ohne Katz hätten sie’s nicht ausgehalten. Die Mäuse hätten
ihnen bestimmt die ganze schöne Linzertorte weggefressen, wenn sie die gekriegt hätten, aber sie kriegen ja nix davon, weil
du sie ganz allein frißt. Mit Konrad. Das erzähl ich jetzt dem Seppi, dann ärgert der sich, weil es kein Kater gewesen ist.«
Und sie zog wieder ab.
Am nächsten Morgen – dem Heiligen Abend – kam Weihnachtspost. Ein Brief, vielmehr eine Briefkarte, war besonders eindrucksvoll.
Ich sah ein Bild, das Meister Bertram im fünfzehnten Jahrhundert gemalt hatte, einen Ausschnitt aus dem Buxtehuder Altar,
und zwar die Geburtsszene. Hinter dem neugeborenen Kind guckte eine Tigerkatze hervor. Wer’s nicht glaubt, der kaufe sich
ein Buch über den Meister und sehe nach.
Mein Unglaube kam ins Wanken. Einer von beiden |158| hat geschwindelt. Entweder gab es die Krippenkatze, und Lukas hat sie verschwiegen, vielleicht mochte er keine Katzen, oder
er hatte eine Katzenallergie, und Meister Bertram hat sie, vielleicht auf Grund einer himmlischen Offenbarung und damit die
Wahrheit ans Licht komme, gemalt. Oder es gab sie nicht, dann hat Lukas nicht geschwindelt und Meister Bertram hat den schwarzen
Peter in Gestalt einer grauen Tigerkatze.
Wenn jemand mich fragt: Ich vertraue Meister Bertram.
|159| Schillers Katze
»Lach mal!« sagte Schlumpel.
Ich las gerade die Zeitung.
»Mach mal!« befahl Schlumpel etwas lauter, etwas energischer und klopfte mit dem Schwanz auf das Polster.
»Was soll ich machen, zum Kuckuck?«
Sie kriegte glänzende Augen. »Den großen Graus.«
»Den hatten wir erst gestern. Ist doch langweilig.«
»Nix langweilig«, sagte Schlumpel, »ich will mich grauseln.«
»Es muß, wenn schon, gruseln heißen.«
»Grauseln klingt gruseliger«, sagte Schlumpel. »Mach den großen Graus!«
»Aber warum bist du so wild darauf?«
»Weil’s hinterher so schön ist.«
Schlumpel lag zusammengerollt in Konrads Musiksessel, in froher Erwartung dessen, was kommen würde. Denn es würde kommen,
das wußte |160| sie ganz genau. Sie kriegt mich immer rum. Er ist ja auch zu schön, der große Graus. Zu schrecklich. Zu schrecklichschön.
Ich legte die Zeitung weg. »Augen zu!«
Keine Katze läßt sich so was befehlen, aber in diesem speziellen Fall gehörte der Befehl zum Spiel. Schlumpel pfetzte die
Augen zu, drückte den Kopf auf die Pfoten und versank auf der Stelle in Tiefschlaf. Als Zugabe schnarchelte sie sogar ein
bißchen.
Ich schlich mich auf Indianerweise an sie heran, wohl wissend, daß sie mich hörte, daß ihre Ohren und Muskeln lauerten auf
das, was nun – sehnlichst herbeigefürchtet –, kommen würde: Der Geier. Der Vogel Rock. Der Unhold. Das Ungetüm. Der Katzenfresser. Der große wilde Graus. Der geht leicht.
Man hält einfach die hohle Hand über ihren Kopf und spreizt die Finger zur Kralle.
Schlumpel wußte genau, was ich
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