Das Glück ist eine Katze
tat, wußte, was über ihrem Kopf schwebte wie das Schwert des Damokles, legte ihre Ohren etwas
zurück und zuckte mit der Schwanzspitze.
Ich bewegte mich nicht. Hielt still. Ließ die Stille dauern. Sie dauerte unaushaltbar lange.
»Jetzt lachen!« befahl die tief Schlafende.
Ich lachte laut, gefährlich, unheimlich.
Schlumpel fand es nicht überzeugend.
Ich gab mir mehr Mühe, steigerte mich, lachte |161| ein schreckliches Lachen, so schrecklich, daß es mich durchfuhr; ich schaute über mich, ob auch da droben etwas schwebte,
eine größere Krallenhand, ein noch schrecklicherer Graus, der es auf mich abgesehen hatte.
Schlumpel, unersättlich, verlangte sehnlichst noch grauseligeres Gelächter.
Ich ging noch mehr aus mir heraus, erbrachte eine absolute Höchstleistung. Schlumpel duckte sich unter dem schrecklichen Gelächter
und riskierte einen schnellen Blick auf das über ihr schwebende Ungetüm, dann zwickte sie gleich wieder die Augen zu. Ein
Zittern lief über das Fell. Sie machte sich ganz klein.
Der große Graus zog in Zeitlupe einen Kreis über ihr.
Schlumpel verschwand fast in den Kissen.
Der große Graus krächzte. Heiser krächzte er und, der Alliteration wegen, hungrig. Dann stürzte er auf sie herunter, fing
sich jedoch wieder, schraubte sich in die Höhe.
Schlumpel zitterte, was sie konnte.
»Jetzt!« krächzte der große Graus, »ich komm!« –
Schlumpel drehte sich auf den Rücken und streckte alle viere dem Graus entgegen. Der stieß auf sie herunter und zerwühlte
ihr Bauchfell.
Schlumpel kreischte, fauchte, schlug nach ihm, |162| in den Augen wonniges Entsetzen. Der Graus stieß die schauerlichsten Laute aus, deren er fähig war. Schlumpel, ganz Begeisterung,
ganz Entzücken, versuchte, dem Graus zu entkommen, aber nicht wirklich ernstgemeint, sie drehte und wendete und überkugelte
sich, und dann biß sie den großen Graus tapfer und herzhaft in den Finger. Der jaulte auf. Sie sah mich erschrocken an und
leckte das Blut von meinem Finger. Dann fing sie an zu schnurren. »Schön war’s. Schrecklich schön. Furchtbar schrecklich schön.
Heut war mein allerschrecklichschönster Lebenstag. Jetzt bin ich müd. Auch schrecklich. Ich geh ein bißchen unter.«
»Warum brüllt ihr so?« Konrad stand in der Tür.
»Wir brüllen aus dramaturgischen Gründen.«
»Und in meinem Musiksessel. Was habt ihr denn da veranstaltet?«
»Das Spiel aller Spiele«, sagte ich. »Es heißt:
Der große Graus.
Das spielen wir fast jeden Tag in immer neuen Fortsetzungen.«
Konrad schüttelte den vernünftigen Kopf. »So was Kindisches!«
Am nächsten Abend: Schlumpel lag im Musiksessel, vor ihr kauerte ein wahrhaft scheußlicher, schwarzgesichtiger, gehörnter
Dämon, der hielt die |163| Klaue hoch über ihrem Kopf, die spitzen Krallenfinger gespreizt. »Ich komm!« brüllte der Schreckliche mit Konrads Stimme,
»und wie ich komm! Ich, der große Konrad-Graus!«
Schlumpel kreischte vor wonnigem Entsetzen.
»Was soll das Theater?« fragte ich.
»Wieso Theater? Wir spielen das Spiel aller Spiele. Es heißt:
Der große Graus.
Sehr erfrischend und labend. Hinterher schnurrt sich’s besonders gut.«
»Du kannst doch gar nicht schnurren.«
»Aber Schlumpel.« Konrads Hand wühlte in Schlumpels weichem Fell. Die quiekte. Schnurrte. Quiekte. Schnurrte. Was das Zeug
hielt.
Und dann überfiel mich eine Erkenntnis. »Konrad«, sagte ich feierlich, »du bist ein Mensch geworden. Gratuliere!«
»Was sagst du?« Konrads Kralle schwebte erneut über Schlumpels Kopf.
»Ich sag’s nur nach. Schiller sagt das. Kennst du Schillers Katze?«
»Schillers Katze? Ich kenn nur Schillers Werke. Laß uns in Ruh! Wir spielen.« Und er wiederholte auf Schlumpels Verlangen
den großen Graus, diesmal eine Nummer schrecklicher, grausliger, geradezu wonniglich grauslig und sehr beeindruckend. Konrad
ist richtig aufgeblüht, seit Schlumpel, ohne den Umweg über mich, das Wort an ihn richtet. Und, weil er sie versteht. Na ja,
noch nicht ganz, |164| er ist halt ein Spätberufener, aber seine Fortschritte sind beachtlich.
Ich schlich davon. Die teuflische Maske hatte ich mal auf einem Fastnachtsball getragen, er mußte sie auf dem Speicher gefunden
haben.
Schillers Katze. Es hat sie gegeben, da bin ich ganz sicher. Die Literaturgeschichte unterschlägt sie und hat, weil nicht
sein kann, was nicht sein darf, die Katze schamlos durch faulende Äpfel ersetzt, die der Dichter angeblich
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