Das Glück mit dir (German Edition)
lächelnd an.
So hätten sie weiterreden können, bis zu ihrer Wohnung. Nettes Geplauder, Smalltalk. Sie ist hübsch auf eine blasse, zarte Art und Philip hat sich vielleicht gefragt, ob er sie küssen soll, wenn er sie absetzt, und ob sie es wohl zulässt – nur dass in der nächsten scharfen Kurve ein entgegenkommender Lastwagen die Kurve zu weit nimmt und über die Mittellinie gerät. Philip steuert den Wagen von der Straße, um nicht mit dem Lastwagen zusammenzustoßen.
Iris streckt ihre schlanken Arme vor, wie um einen Schlag abzuwehren, und stößt einen kurzen Schrei aus, eigentlich klingt es mehr wie ein Aufheulen.
Der Fahrer des Lastwagens merkt gar nicht, was passiert ist, und setzt seine Fahrt im dichten Regen fort.
Philip kann sich nicht daran erinnern, dass er beinahe mit einem Lastwagen zusammengestoßen ist.
Nur dass er gelegentlich, bevor die Sonne aufgeht, in der ersten Dämmerung, aufwacht und dieses Aufheulen hört.
Sie und Philip waren zweiundvierzig Jahre und sechs Monate verheiratet. Wie viele Tage? Wie viele Stunden?
Wie kindisch sie ist.
Und in wie vielen Ländern waren sie während dieser zweiundvierzig Jahre? In wie vielen Häusern haben sie gewohnt? Wie viele Haustiere haben sie gehabt?
Die Tiere haben immer Louise gehört.
Zwei Hunde, eine Katze, ein Hamster, mehrere Goldfische.
Louise muss inzwischen mit dem Essen fertig sein, denkt sie.
Und, natürlich, wie oft haben sie sich in diesen zweiundvierzig Jahren geliebt?
Wie geht noch mal der alte Spruch mit den Bohnen und dem Krug? Wenn ein Paar jedes Mal, wenn es sich in seinem ersten Jahr liebt, eine Bohne in einen Krug wirft, dann kann es sich während seines gesamten weiteren Ehelebens jeweils eine Bohne herausholen, wenn es miteinander schläft.
Den ersten Sex hat Nina in einem Campingurlaub. In einem Zelt, auf einem Schlafsack, sie weiß noch genau, wie unbequem das war – ein Stein oder eine Wurzel drückt ihr ins Kreuz – der stechende Schmerz, als ihr Jungfernhäutchen zerreißt. Vor lauter Aufregungkommt der Junge, sein Name ist Andrew, im selben Moment. Sie zelten an einem Fluss, und kaum dass er von ihr heruntergerollt ist, nimmt sie die Taschenlampe und geht nach draußen. Im Licht der Lampe sieht sie, dass die Innenseiten ihrer Schenkel mit Blut und Sperma verschmiert sind. Barfuß geht sie in den Fluss. Die Steine schneiden in ihre Füße, aber das Wasser ist so kalt, dass sie den Schmerz kaum spürt. Sie kauert sich nieder und wäscht sich, bespritzt sich mit dem Wasser, als sie über den Fluss hinweg ein platschendes Geräusch hört.
Andrew, ruft sie.
Das Platschen wird lauter.
Ein Bär, denkt sie. Ein Bär, angelockt vom Blutgeruch.
Andrew, ruft sie wieder.
Nachts hört sich alles viel lauter an, versucht ihr Andrew zu erklären.
Ein Eichhörnchen oder ein Hase, vermutet er.
Sie erzählt die Geschichte Philip, allerdings abgewandelt. Aus irgendeinem Grund will sie nicht, dass Philip erfährt, wie sie ihre Jungfräulichkeit verloren hat und wie widerlich das war. Stattdessen erzählt sie ihm, wie sie ganz unerwartet in der Nacht ihre Tage bekommen hat und wie sie, mit der Taschenlampe in der Hand, in den Fluss gestiegen ist, um sich zu waschen.
Noch nie bin ich so schnell gerannt, sagt sie.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Bär war, hebt Philip an, aber Nina schneidet ihm das Wort ab.
Priscilla – erinnert sie sich. Der Vorname von Dr. Mayer.
Einen Moment lang fragt sie sich, was aus Andrew geworden ist.
Arzt? Rechtsanwalt? Feuerwehrmann?
Sie weiß kaum noch, wie er aussah – nur, dass er blond und kräftig war –, und wahrscheinlich würde sie ihn gar nicht wiedererkennen – die Menschen verändern sich, das Alter.
Der Sex mit Philip ist gut, sagt sie Dr. Mayer. Sie lieben sich mindestens einmal die Woche. Normalerweise am Sonntagmorgen. Und ja, sie hat jedes Mal einen Orgasmus. Das Problem liegt woanders. Dieser Teil stimmt zum Teil. Nina ist reizbar, gelangweilt, unerfüllt – wie viele verschiedene Arten gibt es, das auszudrücken? In Wahrheit weigert sie sich, am Sonntag und an jedem anderen Tag mit Philip zu schlafen. Eine Art Bestrafung – wofür, weiß sie nicht so recht –, nur dass sie das Dr. Mayer nicht erzählt.
Dr. Mayer schlägt vor, dass Nina sich eine Beschäftigung sucht. Etwas, das sie interessiert und ihr das Gefühl gibt, nützlich zu sein. Sie, Dr. Mayer, besucht beispielsweise einmal in der Woche das Hospiz in Sausalito. Sie betreut dort Menschen, die im
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