Das Glück mit dir (German Edition)
Familie Geige. Nur Joseph und der Esel hören zu; Maria, das Jesuskind im Arm, schläft tief und fest.
Nina kann den Blick nicht von Caravaggios Engel wenden.
Zeit zum Mittagessen, sagt Philip ungeduldig.
Warte, bittet sie.
Sie versucht sich zu erinnern, worum es bei der Konferenz in Rom ging. Es hatte mit rechnerischen Planungsproblemen zu tun: wie ein Vertreter auf kürzestem Weg genau einmal in jede Stadt kommt, die effizienteste Art, einen Lastwagen zu bestücken oder einen Behälter zu füllen. Probleme, für die es noch keine Algorithmen gibt, Probleme, die sie nicht interessieren.
Sie packt das Nachthemd und die neue Schultertasche ganz unten in ihren Koffer. Kein Problem.
Sie wird die Schultertasche Louise schenken, beschließt sie ganz unvermittelt.
Sie freut sich über diese Entscheidung, auch, dass sie so spontan ist.
Was das hübsche Nachthemd betrifft, das könnte genauso gut aus Sackleinen sein.
Zieh es aus , sagt er immer.
Es hat aufgehört zu regnen, und sie geht wieder zum Fenster, öffnet es und lehnt sich hinaus. Die Bäume stehen als mächtige Schatten im Garten; der Himmel über ihnen ist dunkel.
Sie sieht keine Sterne.
Alles ist ruhig.
Sie schließt das Fenster, geht zurück und setzt sich neben ihn ans Bett.
Wie war dein Tag?, fragt sie noch einmal.
Diesmal wird sie zuhören.
Wie war deiner?
Ich habe mit einem Tryptichon angefangen. Die erste Tafel wird ein ruhiges Meer zeigen, die zweite ein stürmisches Meer, die dritte – sie hält inne und schüttelt den Kopf.
Hat sie zu viel Wein getrunken?
Sie hält die Flasche in die Höhe und versucht im Dunkeln das Etikett zu lesen. Ein italienischer Wein: Flaccia – den Rest kann sie nicht entziffern.
Seine Arme, die sie im Bett umfassen, er flüstert mit italienischem Akzent Koseworte. Er erfindet Namen, um sie zum Lachen zu bringen.
Sie legen es auf eine Schwangerschaft an.
Er berührt ihre Brüste.
Sag mir noch mal, wer Fibonacci war?
Ein Mathematiker aus dem dreizehnten Jahrhundert.
Und was hat er entdeckt?
Seine Hand liegt auf ihrem Bauch.
Eine Zahlenfolge, bei der jede Zahl die Summe der zwei vorhergehenden Zahlen ist: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 …
Er steckt seine Hand zwischen ihre Beine.
Erzähl mir von den Kaninchen.
Man fängt mit zwei Kaninchen an, einem männlichen und einem weiblichen, die im Januar geboren sind, und zwei Monate später bringen sie ein nächstes Paar Kaninchen zur Welt, und zwei Monate später bringt dieses Kaninchenpaar ein weiteres Paar zur Welt, und jedes neue Kaninchenpaar bringt ein weiteres Paar hervor, das …
Seine Finger bewegen sich rasch, selbstbewusst.
Die Frage ist, wie viele Kaninchenpaare werden in einem Jahr da sein? In zwei Jahren?
Was ist, wenn ein Kaninchen stirbt? Sie kann kaum sprechen, gleich wird sie kommen.
Die Kaninchen sterben nicht; die Kaninchen sind unsterblich.
Nach zwei Jahren gibt es 46368 Kaninchenpaare, sagt er, und mit einem Stöhnen legt er sich auf sie.
Ein knappes Jahr später ist Louise da.
Er entdeckt überall Fibonacci-Folgen: in Blütenblättern, in Pinienzapfen, Farnen, Artischockenblättern, Muschelspiralen, in der Krümmung einer Welle.
Im Gesicht der neugeborenen Louise.
Als Philip sie zum ersten Mal in den Armen hält, ist sie einen Tag alt. Er weint.
Sie hat Philip nie zuvor und nie seitdem weinen sehen – nicht, als sein Bruder Harold starb, nicht, als sein Vater starb. Damals sah er blass und verstört aus, hat aber keine Träne vergossen.
Zum letzten Mal habe ich geweint – richtig geweint –, sagt er Nina, als mein Hund gestorben ist. Ich war damals vierzehn, glaube ich. Der Hund war ein Mischling – halb Schäferhund, halb irgendwas anderes. Er hieß Natty Bumppo. Es war ein toller Hund – er hatte Humor. Oft hat er die Zähne gebleckt und mich angegrinst.
Und als Iris gestorben ist? , will sie fragen, tut es aber nicht.
Sie stellt sich vor, wie er tränenlos, aber ergriffen, in seinem einzigen dunklen Anzug, langsam durch die Kirche schreitet.
Stattdessen fragt sie: Wie ist der Hund gestorben?
Gar nicht schlecht, sagt Philip, als er die Stiefelchen über Louises winzige Füßchen zieht. Passen wie angegossen.
Was wirst du ihr als Nächstes stricken?, fragt Nina. Ein Twinset?
Gegenüber dem Konferenzhotel, erklärt Philip, gab es einen Handarbeitsladen. Keine Ahnung, warum ich da reingegangen bin – irgendetwas muss meine Aufmerksamkeit erregt haben –, ein riesiger Korb voll Wolle gleich an der Tür.
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