Das Glück mit dir (German Edition)
Große Knäuel Naturwolle, und die Frau im Laden sagte, Stricken sei entspannend. Jeder könne stricken. Sie verkaufte mir die Nadeln, die Wolle, die Anleitungen. Ich fuhr zurück zum Flughafen, und während ich auf meinen Flug wartete, begann ich zu stricken. Sie hat recht gehabt, es half mir, zur Ruhe zu kommen. Und im Flugzeug wollte es der Zufall, dass die Frau neben mir ihre Hilfe anbot. Ich hätte ein paar Maschen fallen lassen, sagte sie.
Was, überlegt Nina, hat wohl Philips Aufmerksamkeit erregt? Oder, eher wahrscheinlich, wer? Eine einsame, gesprächige Frau, die Wolle verkauft und einen erdfarbenen Arbeitskittel und dazu laut klappernde Holzclogs trägt? Diesem Outfit fügt Nina noch einen Anhänger in abstrakter Form hinzu – die Arbeit eines befreundeten Künstlers –, der vor ihrer Brust baumelt. BH trägt sie keinen. Sie ist nicht Philips Typ. Stattdessen stellt sich Nina eine gepflegte Blondine mit einnehmendem, breitem Lächeln vor, die im Flugzeug neben Philip sitzt und ihn auf die fallen gelassenen Maschen hinweist.
Grau und formlos, riechen die Stiefelchen, obwohl Nina sie mehrmals wäscht, nach Fett und Schaf. Als Louise sie zum ersten Mal draußen anhat, im Kinderwagen, den Nina schiebt, rutscht eines der Stiefelchen von ihrem Fuß, fällt in den Schnee und ist verschwunden.
Natty Bumppo wurde vergiftet. Irgendjemand, so erzählt ihr Philip, hat vergiftetes Fleisch aus einem Autofenster geworfen. Viele Hunde in der Nachbarschaft sind gestorben. Auch ein paar Katzen und Eichhörnchen. Es sah schrecklich aus in der Straße, überall Tierkadaver.
Wusste Philip, dass er starb?
Er sieht gefasst aus, seine Augen sind geschlossen. Er sieht nicht aus, als hätte er Angst. Er sieht so aus, wie er aussieht, wenn er schläft. Vielleicht tut er das ja, denkt sie, und das alles hier ist nur ein Irrtum.
Ein schrecklicher Irrtum.
Philip, ruft sie ihn.
Philip.
Und ist sein ganzes Leben vor seinem inneren Auge vorbeigezogen? Oder nur ein paar denkwürdige Vorfälle: wie er vom Baum fiel, wie er seine erste quadratische Gleichung löste, wie er das erste Mal Sex hatte …
War er glücklich?
Hat sie ihn glücklich gemacht?
Sie sind glücklich auf der windumtosten Insel Pantelleria, in den zwei Zimmern des dammuso , das sie für eine Woche gemietet haben. Das dammuso ist aus Vulkanstein erbaut und die dicken Wände halten das Haus im Winter warm und im Sommer kühl, die Dachkuppel leitet das Regenwasser in eine Zisterne. Es gibt kein fließendes Wasser. Jeden Morgen holt Philip mehrere Eimer Wasser und bringt sie ins Bad und in die Küche. Das Bad ist ein eigenes, kleines Gebäude: Ein Ast voller purpurner Blüten vor dem Fenster dient als Vorhang und sorgt für Privatsphäre.
Auf den terrassierten Hügeln wachsen Kapern; die weinstockähnlichen Büsche tragen blaue Blüten.
Iris.
Nein. Sie zwingt sich, jetzt nicht an sie zu denken.
Die Kapern sind groß, körnig, salzig; sie essen sie jeden Tag mit Tomaten, Brot und Olivenöl zum Mittagessen und trinken Wein aus der Gegend dazu. Anschließend legen sie sich in das dunkle, kühle Schlafzimmer mit den dicken Wänden und verschlafen – in schwerem, betäubtem Schlaf – den Rest des heißen Nachmittags. Wenn sie erwachen, lieben sie sich – langsam, bedächtig –, und dann steht Philip, immer noch nackt, auf und holt wieder Wasser aus der Zisterne, damit sie sich waschen können.
Sie schwimmen in warmen, grünen Buchten, aquamarinblauen Höhlen und dunklen, kühleren Grotten, die von Felsen und Lavasäulen mit arabischen Namenzerteilt werden. Über ihnen erheben sich die senkrechten Klippen der Insel; hoch oben auf einer von ihnen steht das Dorf Saltalavecchia – »die Alte springt« –, wo sie mittags Brot kaufen und das Auto betanken.
Perché lei è saltata in mare? , fragt Nina. Un marito perso? Hat sie ihren Ehemann verloren? Un figlio perso? Oder ihren Sohn?
Der Bäcker zuckt die Achseln, er weiß es nicht.
Der Tankwart ebenso wenig, oder er hat es vergessen.
Saltalavecchia ist bloß ein Name, sagt ihr ein Junge, der seine Fahrradreifen aufpumpt. So wie Florenz oder Venedig oder meinetwegen Rom. Er sagt es, ohne sie anzusehen.
Eines Morgens kommt ein ausgemergelter braunweißer Hund und setzt sich auf die Terrassentreppe. Nina holt ihm eine Schüssel Wasser.
Vorsicht, sagt Philip. Hier weiß man nie.
Er sieht ganz gutmütig aus.
Beim Frühstück füttert sie ihn mit ein paar Toastresten, Toast mit Butter.
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