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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Tuck
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ab.
    Aber ist es nicht eine absurde Vorstellung, das Universum könnte unendlich sein, kehrt Lorna zum Thema zurück und stochert mit der Gabel im Nachtisch.
    Ein gestürzter Ananaskuchen, den Nina extra gebacken hat.
    Denn wenn wir, sagen wir, über Einsteins Theorie hinausgehen – wenn wir eine letztgültige Theorie für alles gefunden haben –, dann wird die Theorie beweisen, dass wir Menschen aus den gleichen Grundbestandteilen geschaffen sind wie das Universum und dass wir und das Universum bloß unterschiedliche Erscheinungsformen des Gleichen sind. Wie also könnte das Universum unendlich sein, wenn wir selbst endlich sind?
    Lorna spricht sehr leise, in kurzen, nervösen Stößen, so dass man sich zu ihr hinbeugen muss, um zu verstehen, was sie sagt. Sie ist zart gebaut und ihre Arme sind von Sommersprossen übersät. Sie kann nicht Auto fahren, nach dem Essen bringt Philip sie nach Hause. Nina findet, dass die Fahrt länger dauert als nötig. Zwei Stunden bleibt er fort.
    Viel Verkehr, behauptet er, als er schließlich wiederkommt. Und ein Unfall auf dem Highway.
    Du hättest nichts zu ihren Schuhen sagen sollen, meint Philip außerdem. Du hast sie in Verlegenheit gebracht, das war kindisch.
    Aber inzwischen hat Nina schon entschieden, dass Lorna das Kind ist. Ein leichtfertiges, hilfsbedürftigesKind, das in der realen Welt und unter den Menschen, die in ihr leben, nicht bestehen kann.
    Du verstehst nicht, sagt Philip stirnrunzelnd, als sie später das Gespräch wieder auf das Abendessen mit Lorna bringt. Physiker haben nicht die gleiche Freiheit wie Mathematiker. Physiker befassen sich mit der realen Welt, während Mathematiker ihre Welten selbst wählen.
    Von unten hört sie ein lautes Geräusch. Es arbeitet im Gebälk des Hauses, oder knackt das Holz eines alten Möbelstücks? Die große Mahagonikommode im Esszimmer, nimmt sie an. Eine der Schubladen ist mit den russischen Niello-Silberlöffeln gefüllt, die Philip sammelt.
    Gesammelt hat.
    Die Löffel sind mit verschlungenen Blüten- und Blättermustern verziert; manche Muster sind noch komplizierter, Schlösser, Jagdszenen und – Philips Lieblingsstück – eine Fregatte unter vollen Segeln. Zu besonderen Gelegenheiten – zu Weihnachten, Neujahr, einer Abendeinladung – legt Philip die Löffel sorgfältig auf die makellos weißen Leinenservietten, mit denen Nina immer den Tisch deckt.
    Nur zum Anschauen, warnt er die Gäste. Niello besteht aus einem Teil Silber, zwei Teilen Kupfer und drei Teilen Blei. Wenn Sie den Löffel benutzen, um Ihre Suppe zu essen, riskieren Sie, sich einen Hirnschaden zu holen.
    Alle außer Nina lachen.
    Unwillkürlich blickt sie auf die Uhr. Die Leuchtzeiger stehen auf ein paar Minuten nach zwei.
    Sie ist nicht müde.
    Philips Großvater mütterlicherseits war ein berühmter Silberschmied. Die Russische Revolution brachte ihn schlagartig um seine Arbeit und er ging nach Amerika. Es gelang ihm, etwas Silber mitzunehmen – Löffel, eine Schnupftabaksdose, verschiedene Werkstücke, an denen er gerade gearbeitet hatte. Jedem seiner Kinder schenkte er zur Hochzeit ein Silberstück. Seine Mutter, sagt Philip, bekam einen Löffel.
    Was ist damit geschehen?, fragt Nina.
    Vielleicht hat sie ihn verloren. Oder verkauft.
    Wenn wir sie das nächste Mal besuchen, musst du sie fragen.
    Philip zuckt die Achseln. Vielleicht erinnert sie sich nicht mehr.
    Nina wird Alice fragen.
    Noch besser, beschließt sie, sie wird Alice einen von Philips Löffeln mitbringen.
    Schau, Alice, wird sie sagen, Philip hat deinen alten Silberlöffel gefunden. Den mit der Segelfregatte außen an der Wölbung.
    Ninas Eltern sind bereits vor einigen Jahren gestorben. Sie denkt selten an sie – nicht, so sagt sie sich, weil sie sie nicht geliebt hätte. Das hat sie durchaus. Sie lebten als Rentner in Florida. Ihr Vater spielte sehr viel Golf, ihre Mutter Brettspiele und Bridge. Sie waren sich selbst genug und beklagten sich nie. Irgendwann zogensie in ein Altersheim, wo Nina sie ein, zwei Mal im Jahr pflichtschuldig besuchte. Beim letzten Besuch – ihr Vater war bereits an Komplikationen eines Schlaganfalls verstorben – ging sie mit ihrer Mutter zum Strand und spielte mit ihr Scrabble. Trotz eines kurz zuvor eingesetzten künstlichen Hüftgelenks, das sie leichter ermüden ließ, gewann ihre Mutter das Spiel ganz locker dank des dreifachen Wortwerts, den ihr die sechs Buchstaben Xerose einbrachten. Nina, die sie herausgefordert hatte, verlor. Xerose

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