Das Glück mit dir (German Edition)
blau.
Ein versöhnliches Blau.
Wie heißt das noch mal, wenn zwei Sinneseindrücke miteinander verschmelzen?
Philip wüsste es.
Richard Feynmann, einer von Philips Lehrern, sahGleichungen in Farbe – hellbraune j , blauviolette u und dunkelbraune x , die umherschwirrten. Philip nimmt nicht nur an seinen Seminaren an der Cal Tech teil, er besucht Richard Feynman auch oft privat und hört zu, wie er auf Bongos trommelt.
Synästhesie, fällt ihr plötzlich ein, das ist das Wort.
Iris ist natürlich blau, unabhängig von den einzelnen Buchstaben. Ein helles Blau, Himmelsblau, so blau wie der Umhang der Jungfrau Maria.
Das Blau der Karibik ist anders – es ist ein grünliches Blau, ein Aquamarinblau. Ein glitzerndes Blau.
Das Blau von Jean-Marcs Augen.
Sie haben auf verschiedenen Inseln Urlaub gemacht: St. Martin, Guadeloupe, Martinique – französischen Inseln.
Schon wieder Inseln.
Beim Sonnenbaden am Strand von Marigot starrt Philip schamlos die französischen Frauen an, die oben ohne herumlaufen.
Dir fallen gleich die Augen aus dem Kopf, sagt ihm Nina.
Sie liegt neben ihm auf dem Bauch und liest Erinnerung, sprich . Nabokov verknüpfte ebenfalls Zahlen und Buchstaben mit bestimmten Farben – s und c sind Blauschattierungen, f , p und t sind grün, e und i sind gelb, b und m unterschiedliche Rottöne. Von Zeit zu Zeit sieht sie zu Philip hinüber.
Hast du dein Buch vergessen?
Nein. Philip schüttelt den Kopf und hält sein Taschenbuch hoch, Der wandernde Spielzeugladen . Im Urlaub liest er immer Krimis.
Sie hört, wie Philip umblättert, aber als sie zu ihm hinübersieht, merkt sie, dass er gar nicht mehr liest. Er glotzt schon wieder. Sie folgt seinem Blick und sieht eine schlanke junge Frau, die bis zu den Knien im Wasser steht. Die junge Frau beugt sich vornüber und spritzt sich Wasser auf ihre kleinen gebräunten Brüste, bevor sie weiter ins Meer hineingeht. Sie trägt ein Bikinihöschen mit einem roten Blumenmotiv, das ihre Pobacken nur zum Teil bedeckt. Ein tiefgebräunter, kräftiger junger Mann rennt laut rufend an ihr vorbei, dass das Wasser aufspritzt, packt sie am Arm und zieht sie mit sich ins tiefere Wasser. Als sie wieder auftauchen, lachen beide.
Nina wendet den Blick ab.
Gleich werden sie sich küssen.
Nina dreht sich auf den Rücken um und zieht, ermutigt vom Beispiel der Französinnen, ihr Bikinioberteil aus. Verglichen mit dem gebräunten Rest ihres Körpers wirken ihre Brüste schrecklich weiß, aber immerhin sind sie ziemlich fest.
Nina!, ruft Philip aus, als er sich zu ihr umwendet, um sie zu bitten, ihm die Sonnencreme zu geben.
Was?
Du kannst nicht oben ohne hier liegen.
Warum nicht? Alle anderen machen es auch.
Ja – aber es ist unanständig, wenn jeder deinen Busen anstarrt.
Du starrst doch auch allen Frauen auf den Busen – wo ist der Unterschied?
Darum geht es nicht.
Worum dann?
Du weißt ganz genau, was ich meine.
Philip steht auf und geht davon.
Ich habe mir das Bein gebrochen, als ich von einem Baum gefallen bin, erzählt er ihr. Ich habe mit Harold herumgetollt und bin falsch aufgekommen.
Hat er dich geschubst?
Wir hatten Stöcke. Wir haben Ritterturnier gespielt.
Auf einem Baum?
Wir haben ständig so verrückte Sachen gemacht.
Bist du mit Harold nicht klargekommen?
Doch, ich bin mit ihm klargekommen. Wir haben bloß die ganze Zeit gekämpft, wie Brüder das eben machen.
Der arme Harold. Sie will nicht daran denken, wie er draußen vor dem Hochzeitszelt lag, betrunken und mit offenem Hosenstall.
Irische Zwillinge – zwischen Philips und Harolds Geburt lagen vierzehn Monate.
Sie hat einmal ein Schwarzweißfoto von den beiden gesehen – Philip ist darauf ungefähr zwölf und Harold elf –, in Overalls, die Arme umeinandergelegt. Hinter ihnen erhebt sich ein Haus mit einer großen Eingangsterrasse, auf der eine altmodische Hollywoodschaukel aus Metall steht. Philip ist einen Kopf größer als Haroldund hält Natty Bumppo, der zwischen ihnen sitzt, am Halsband. Beide Jungen blinzeln in die Sonne.
Das Foto wurde auf der Farm meines Großvaters in Wisconsin aufgenommen, erzählt Philip Nina. Da haben wir immer die Sommerferien verbracht.
Etwa im gleichen Alter, sie lebt damals in Montevideo, erfindet sich Nina eine Zwillingsschwester. Die Zwillingsschwester sieht genauso aus wie sie, ihr Name ist Linda.
Linda bedeutet auf Spanisch schön – muy linda .
Linda ist ihr eine Gefährtin und Nina vertraut ihr. Sie ist Ninas engste Freundin und
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