Das Glück reicht immer für zwei
Beleidigte zu spielen. Darin war Britt sehr viel besser als sie. Die beiden Schwestern redeten kaum miteinander, bis sie sich für das Kapitäns-Dinner fertig machten.
»Wahrscheinlich wird es schrecklich langweilig werden«, sagte Britt, während sie sich eine Goldkette um den Hals legte. »All diese frisch verheirateten Paare.«
»Was bist du nur für ein Miesepeter!«, rief Mia. »Offensichtlich hast du dir in den Kopf gesetzt, die Spaßverderberin zu spielen, oder? Kein Wunder, dass deine Ehe in die Brüche gegangen ist. Der arme Ralph hatte ja nicht den Hauch einer Chance.«
Der arme Ralph! Britt sog scharf die Luft ein und ließ sie langsam wieder entweichen. Alle hatten »den armen Ralph« bemitleidet,
als sie sich von ihm getrennt hatte. Jeder hatte angenommen, es sei ihre Schuld gewesen, weil sie so schwierig war. Dabei war sie gar nicht schwierig! Schließlich hatte sie ihn geliebt. Und sie hatte sich große Mühe gegeben, gut mit Ralph auszukommen.
Als Mia und sie an dem großen runden Tisch Platz nahmen und Kapitän Henderson sie mit den anderen Gästen bekannt machte, musste sie noch immer an Ralph denken. Und wie immer lag ihr die Erinnerung an ihn schwer im Magen. Genau das war der Grund, warum sie es selbst nach zehn Jahren vermied, überhaupt an ihn zu denken.
Die ersten zwei Wochen nach ihrer Hochzeit, ihre Flitterwochen an den oberitalienischen Seen, waren ein einziger Traum gewesen. Sie wohnten in wunderbar romantischen Hotels, eines davon ein restaurierter Palazzo am Gardasee, und tranken jeden Abend auf der Terrasse einen Chianti, ehe sie im Restaurant köstlich italienisch speisten. Tagsüber gingen sie auf piniengesäumten Wegen spazieren und unternahmen Bootsauflüge auf den Seen. Es waren die schönsten Wochen ihres Lebens. Ralph fühlte sich in Italien in seinem Element; mit seinem dunklen Aussehen und der gebräunten Haut hätte man ihn für einen Italiener halten können. Erst recht, nachdem er sich bei einem Ausflug nach Mailand Designerjeans, einen Kaschmirpulli und ein Paar Schuhe aus weichem Leder gekauft hatte. Auch flirtete er wie ein Italiener, und nachts im Bett flüsterte er ihr italienische Liebesworte ins Ohr, sagte, sie sei seine bella donna und er bete sie an.
Sie wünschte, die Flitterwochen würden nie zu Ende gehen. Nie war sie so glücklich gewesen. Und doch dachte sie, als Ralph sie vor der Tür ihres Hauses in Ringsend auf die Arme hob und sie den Schlüssel ins Schloss steckte, das Beste liege noch vor ihnen.
Am ersten Abend nach ihrer Rückkehr, als sie von der Arbeit nach Hause kam, begrüßte Ralph sie im Smoking und weißen
Hemd, eine Leinenserviette über dem Arm, und aus der Küche wehte ihr italienischer Essensduft entgegen.
»Ciao, bellissima«, sagte er. »Ich bin Antonio, Ihr Kellner heute Abend. Was darf ich Ihnen bringen?«
Sie lachte, obwohl sie einen langen, stressigen Tag im Büro hinter sich hatte. Sie hatte sogar Unterlagen mit nach Hause genommen, da sie später noch arbeiten wollte.
»Was immer die Karte bietet.« Sie ließ die Jacke von der Schulter gleiten und stellte ihre Aktentasche auf den Boden.
»Ah …« Er sah sie lächelnd an. »Dann also mich. Uns beide.« Und er führte sie, ohne auch nur einen weiteren Blick in die Küche zu werfen, ins Schlafzimmer.
Während sie sich liebten und auch hinterher behielt Ralph die ganze Zeit die Rolle des italienischen Kellners bei. Er sagte ihr, sie sei sein Lieblingsgast, wenngleich es nicht so einfach sei, sie zufriedenzustellen, doch er habe genau das richtige Rezept für sie. Dann tat er Dinge mit ihr, die er noch nie getan hatte.
»Keine Sorge, bella«, murmelte er. »Ich weiß, welches Menü Sie bevorzugen. Ich weiß genau, was Sie gern zum Dessert hätten.«
Danach war sie so erschöpft, dass sie neben ihm einschlief. Als sie um elf Uhr aufwachte, lag sie in seinen Armen, und weil sie ihn nicht stören wollte, kam sie in jener Nacht nicht mehr dazu, sich mit den Akten zu beschäftigen, die sie nach Hause mitgebracht hatte.
Als sie am nächsten Abend heimkam, trug er einen weißen Arztkittel und ein Stethoskop um den Hals.
»Ah!«, rief er, während sie die Küche betrat (er hatte nicht gekocht, aber im Spülbecken lag schmutziges Geschirr). »Meine Lieblingspatientin. Heute möchte ich Sie gründlich untersuchen, wenn Sie mir bitte in mein privates Behandlungszimmer folgen wollen.«
»Später vielleicht«, sagte sie. »Ich bin völlig fertig. Wir hatten heute Nachmittag eine
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