Das Glück von Brins Fünf
anstimmte.
„Na-hoo, Vogler … Braunkiel … du da, Vogel-Boot!“
„Vano deg“, dröhnte Mamor, und wir lachten unbehaglich über seinen Witz … es bedeutete etwa: „Großer störrischer Vogel.“
Dann füllte Taucher seine Lungen und ließ den ganzen Ruß von Ufer zu Ufer von seinen seltsamen Schreien widerhallen. „Coo-ee! Ahoi, Vogel-Boot! Ihr da, ahoi!“
Keine Antwort; das Schiff war herrenlos, verlassen. Die Nacht brach an, und wir empfanden alle das gleiche Unbehagen. Die Alte Gwin drängte Mamor, weiterzufahren, und machte das Abwehrzeichen.
„Wir müssen sie suchen“, sagte der Harfner. Leise verfluchte er die Wirbler, und die Alte Gwin tadelte ihn, indem sie sagte, sie seien heilige Wesen. Niemand wollte das Vogel-Boot durchsuchen. Der Harfner knirschte mit den Zähnen und gab mir sein Instrument, aber Taucher legte die Hand auf seinen Arm.
„Ich werde hingehen und Dorn mitnehmen“, sagte er, „falls ich einen Dolmetscher brauche.“
Ich sah Brin an, und sie fragte mit ihren Augen: Hast du Angst? „Ich bin bereit.“ Ich hatte Angst, aber in Tauchers Gesellschaft doch genügend Mumm.
Mamor bemaß den Zeitpunkt richtig; er ließ seine Stange über die linke Sandbank gleiten und warf das Schiff herum, als der Bug des Vogel-Boots wieder auf uns zu schwenkte. Taucher und ich sprangen über die Wasserrinne und landeten in einem Haufen Zeug auf dem geleimten Deck. Wir bahnten uns den Weg über die Planken, stolperten über alte Takel, einen Lederstiefel, ein Büschel blauer Federn … vom Umhang eines Wirblers? Taucher blieb stehen und hob den Kopf; sogar ein Gedankenblinder konnte es spüren. Er umklammerte meinen Arm.
„Geh nicht weiter …“
„Ich weiß“, flüsterte ich. „Der Tod … Tote. Geh weiter.“ Langsam bückte er sich und hob den verschlissenen Ledervorhang hoch, der vor der Holzkabine hing. Er leuchtete mit seiner Lampe in die Dunkelheit.
Die Kabine war größer, als ich erwartet hatte, ein kahler brauner Raum, hinter dessen fadenscheiniger Verkleidung die Schiffsrippen sichtbar waren. Keine Wirbler, weder tot, noch lebendig, nur ein zerrissener blauer Umhang, der anzeigte, daß zehn bis fünfzehn Passagiere an Bord gewesen waren. Dann ruhte der Lichtkreis auf einer Tischplatte, einem groben Stück, angefertigt aus einem umgedrehten geflochtenen Vogelkäfig. Da waren noch drei von ihnen, zwei vornüber gekippt, einer aufrecht. Taucher hielt den Atem an. Der Kapitän und die Matrosen waren tot, tot wie drei Stümpfe auf ihren Korbstühlen; drei alte, alle weiblich, so alt wie Gwin.
Ihre Gesichter waren verhüllt, und ihre schlaffen Körper wiegten ein wenig im Rhythmus des alten Kielbootes. Und ich erkannte, warum ihr Anblick, so fremd und schrecklich er auch war, mir eher Mitleid als Entsetzen einflößte.
„Es ist ein Todespakt“, sagte ich. „Guck … ihre Hände.“ Die Handgelenke der drei Alten waren mit einer roten Schnur fest zusammengebunden.
„Wieso?“ flüsterte Taucher.
„Gift. Es ist ein alter Faden, dem wir folgen. Sieh dir die Schalen an.“ Zwei Schalen und ein gesprungener Becher rollten auf der Tischplatte hin und her.
„Komm“, sagte Taucher. „Die Armen … Sind es nicht Frauen?“
„Doch. Wir müssen nach unten gehen.“
„Nicht nötig.“
„Doch“, drängte ich. Ich wagte es nicht, mich zu der anheimelnden Form unseres Kahns umzudrehen, damit meine Nerven nicht versagten.
„Bitte, Taucher. Wir haben als erste einen Todespakt entdeckt. Wir müssen beten und ihre Botschaft an uns nehmen.“
Taucher nickte, und wir stiegen die glitschige Leiter in den Laderaum hinunter. Ich begann mit den Gebeten, sobald ich den Fuß der Treppe erreicht hatte, wobei ich mich in meiner Hast bei den Worten verhaspelte. Ich zupfte am Saum meiner Tunika und zog einen roten Faden heraus; jetzt kam das Schwerste. Mit Taucher, der mich mit ernstem Gesicht beobachtete und mir leuchtete, schlug ich den Ledermantel des Kapitäns zurück und legte den Faden auf ihre Stirn. Es war nicht schrecklich. Sie war alt, runzlig, bleich; jetzt schlief sie. Das gleiche bei den beiden anderen. Drei alte Verwandte, höchst wahrscheinlich, oder die Überreste irgendeiner Fünf mit einem neuen Vogel-Boot in glücklicheren Tagen.
Auf dem Tisch lag ein langes Botschaftsband in gelben, aus einem Tau enthedderten Flachsfasern. Ich beendete meine Gebete und nahm sie mit dem erforderten Spruch, soweit ich mich daran erinnern konnte, an mich. Taucher sah, daß ich bereit
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