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Das Glück wartet in Virgin River

Das Glück wartet in Virgin River

Titel: Das Glück wartet in Virgin River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robyn Carr
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fragte sie weiter.
    Einen Moment dachte er nach. „Als ich noch ganz klein war, also ungefähr zehn, bin ich mal auf eine Weide gegangen, die man mir verboten hatte. Ich war mit zwei Cousins dort, aber die beiden waren älter und schneller als ich. Wir sollten uns von diesem alten Stier fernhalten, aber wir hatten uns vorgestellt, dass er viel zu alt wäre, um uns groß zu schaffen zu machen. Dann hat sich allerdings herausgestellt, dass er ziemlich schnell war.Gerade noch lag er da und sah aus, als würde er schlafen, und im nächsten Moment ging er schon auf mich los.“
    „Was war mit deinen Cousins?“
    „Du kennst doch den alten Witz von den beiden Campern, die auf einen Bären treffen … ‚Ich muss nicht schneller sein als der Bär, ich muss nur schneller sein als du‘. Die beiden hatten sich aus dem Staub gemacht und mich dem Stier ausgeliefert. Ich bin auf einen Baum geklettert. Ein paarmal hat er die Hörner in den Stamm gerammt und hätte mich fast runtergeschüttelt, aber dann wurde ihm das zu langweilig und er hat sich wieder hingelegt. Drei Stunden habe ich da oben in dem Baum gehockt. Es war schon fast dunkel, als mein Dad kam, um mich zu suchen. Er ging über die Wiese, als hätte er alle Zeit der Welt. Eine Mistgabel hatte er zwar dabei, schien sich aber nicht die geringsten Sorgen zu machen. Als er unter dem Baum stand, sah er hoch und sagte: ‚Komm runter.‘ Ich versuchte noch, ihn vor dem Stier zu warnen, aber er bestand darauf. Nun, ich kletterte also runter, ganz langsam und vorsichtig, und just in dem Moment erhob sich der alte Stier und spazierte sozusagen zu uns herüber. Als er ungefähr zwei Meter von uns entfernt war, drehte mein Dad sich zu ihm um, starrte ihm in die Augen, so lange, bis sich der verdammte Stier abwandte und wieder hinlegte. Und mein Dad nahm mich an die Hand und führte mich von der Weide.“
    „Einfach so?“
    Clay nickte. „Er sagte noch: ‚Habe ich dich nicht gewarnt, dass du dich von dieser Weide fernhalten sollst?‘ Und ich habe ihn gefragt: ‚Wie hast du das gemacht ?‘ Er sah nur geradeaus vor sich hin und meinte: ‚Das ist ein alter Bulle. Böse, aber alt. Er hätte gar nicht gewusst, was er mit dir anstellen soll, wenn er dich erwischt hätte. Ich wollte mich nur vergewissern. Deshalb haben wir eine Art Vereinbarung getroffen. Wenn er mich nicht angreift, würden wir unseren Frieden schließen.‘ Ich habe Dad noch gefragt, warum er denn dann die Mistgabel mitgenommen hat, worauf er antwortete: ‚Nur für den Fall, dass er nicht auf die Stimme der Vernunft hören will.‘“ Clay lachte.
    Lilly blieb ernst. „Hat dein Vater auch mit den Tieren gesprochen? Hast du das von ihm geerbt?“
    „Ich weiß nicht, welche Fähigkeit ich habe, Lilly, oder woher ich sie habe. Ich empfange die Gefühle von Tieren und weiß zum Beispiel, ob sie Schmerzen oder Angst haben. Aber alles, was ich von diesem Stier empfangen habe, war nur, dass er wütend war. Wir sind in sein Territorium eingedrungen, und da war er stinksauer. Die Fähigkeiten aber, über die mein Dad anscheinend immer verfügt hat, waren Vertrauen und Verständnis. Ich glaube nicht, dass ich je dieses Vertrauen besessen habe. Er nahm eine Mistgabel mit auf dieses Feld – mein achtzig Kilo schwerer Vater – und stellte sich einem mehr als tausend Kilo schweren Bullen. Sein Gang war dabei langsam und locker, und er hielt sich zwischen mir und dem Tier. Irgendwie hat er es allein durch seine unerschütterliche Ruhe geschafft, den Stier glauben zu lassen, dass er ihn mit der Mistgabel töten könnte, wenn sie sich nicht einigen würden.“ Verwundert schüttelte er den Kopf.
    „Was ist?“
    „Als wir nach Hause kamen, sagte er nur: ‚Das nächste Mal kannst du im Baum bleiben, bis du alt und grau bist.‘“
    „Keine Strafe?“
    „Bei uns zu Hause gab es selten einmal eine richtige Bestrafung. Es war Strafe genug, wenn meine Eltern enttäuscht waren. Nicht mehr gelobt zu werden, war Strafe. Ich habe dafür gelebt, meinen Eltern Freude zu machen. Manchmal habe ich das abgelehnt und dagegen rebelliert, aber das hat nie lange gedauert. Die Tahomas sind stark und sehr stolz. Sie sind einflussreich. Wenn ich mich mal aufgelehnt habe, bin ich schnell darüber hinweggekommen. Sie waren immer für mich da.“
    „Wann zum Beispiel?“
    „Du weißt doch, wie das damals war, als Gabe plötzlich auftauchte. Sie haben sich für den Jungen starkgemacht, sich für mich starkgemacht. Mein Vater hat seine

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